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Kapitel 18:

Das Diktat des kosmischen Zensors


Die Everettsche Interpretation der Quantenmechanik ist zur Zeit noch sehr umstritten. Viele aktive Physiker halten die Behauptung über die Existenz einer Vielzahl paralleler Universen für theoretischen Ballast, wenn sie überhaupt etwas davon halten. Falls es nur ein Universum gibt, fallen die eleganten Lösungen weg, die die Viele-Welten-Interpretation für Ereignisparadoxe anbietet. Neue philosophische und physikalische Argumente sind nötig, um die mögliche Existenz von geschlossenen zeitartigen Kurven zu widerlegen. Ein unter dem Namen "Chronology Protection Conjecture" von Stephan Hawkings vorgebrachtes Prinzip ist der Versuch, die ungeliebten Zeitreise-Paradoxien einfach zu verbieten. Es besagt nichts anderes als die physikalische Unmöglichkeit von Zeitmaschinen. Seine Analyse führte in zu der starken Vermutung, dass Fluktuationen des Vakuums die Entstehung pathologischer Zeitkurven verhindern. Raumzeitbereiche, in denen geschlossene zeitartige Kurven erzeugt werden, schließen sich sofort durch eine Singularität ab, so dass der Zeitreisende nur durch einen Horizont dorthin gelangen kann. Seine Rückkehr ist aber damit ausgeschlossen.

Dieses Resultat wurde von seinen Fachkollegen den Physikern Thorne, Novikov und Kim stark angezweifelt. Bei den unklaren Fragen geht es hauptsächlich, darum wie Details der Quantengravitation zu behandeln sind. zur Zeit ist es noch unklar, wie sich Vakuumsfluktuationen der Quantenfelder auf die Existenz und Passierbarkeit von Wurmlöchern auswirken. Die wissenschaftlichen Facharbeiten zu Wurmlöchern, Tachyonen, geschlossene zeitartige Kurven, Strings und Singularitäten füllen die Journale mit großer Diskussionsbreite. Mathematische und physikalische Analysen, die die Möglichkeit von Zeitreisen nicht notwendig ausschließen, rufen bei vielen anerkannten Physikkollegen vehement Widerspruch hervor. Die unvermeidbare Möglichkeit von Zeitreise-Paradoxa lassen viele Wissenschaftler an der realen Existenz von geschlossenen zeitartigen Kurven zweifeln. Doch die Befürworter der theoretischen Möglichkeit von Zeitreisen haben Verstärkung erhalten. Der berühmte Stephen Hawking ist zuletzt in das Lager der Zeitreisevertreter gewechselt. Nach anfänglicher, öffentlich zur Schau getragener Skepsis hat er seine Meinung grundsätzlich geändert. In einer TV-Dokumentation des englischen Fernsehens hat Hawking eingeräumt, dass er sich beim Thema Zeitreise lange zurückgehalten hat, um sein Ansehen in der etablierten Wissenschaftswelt nicht zu gefährden. In Interviews vertrat Hawkings zuletzt die Meinung, dass die Zeitreise nicht nur eine spekulative theoretische Möglichkeit ist, sondern er glaubt auch, dass Zeitreisen in naher Zukunft technisch realisierbar sind.

Die Mehrzahl der theoretischen Physiker tendieren in ihren persönlichen Urteilen zu einer Kompromisslösung. Für den Fall, dass das Kausalitätsprinzip gewahrt bleibt, hätten sie gegen eine Zeitreise nichts einzuwenden. Sie bevorzugen den Grundsatz, dass für Wechselprozesse, die gegen die Kausalität verstoßen, die Wahrscheinlichkeit gegen Null geht. Es muss irgendwie ausgeschlossen werden, dass Folgen ihre Ursache verhindern können. Es existieren in unserem Universum tiefer liegende Gesetzmäßigkeiten, die das Entstehen einer zeitparadoxen Situation verhindern. Diese vermutete Gesetzmäßigkeit lässt sich im Bild eines imaginären kosmischen Zensors veranschaulichen. Nehmen wir an, dass sich der Zeitreisende in seiner eigenen Vergangenheit befindet und mit seinem früheren Ich kommuniziert. Die lokalen Bedingungen sind so, dass der Zeitreisende scheinbar die Freiheit hat, sein früheres Ich davon zu überzeugen, niemals in eine Zeitmaschine zu steigen. Wir nehmen ferner an, dass das frühere Ich in seinen Entscheidungen autonom ist und tatsächlich die Entscheidung trifft, niemals in eine Zeitmaschine zu steigen, falls sich in seiner weiteren Zukunft eine Gelegenheit dazu bieten sollte. Diese Entscheidung kann der kosmische Zensor allerdings nicht akzeptieren. Tatsächlich werden sich die Umstände im weiteren Leben des früheren Ichs so verändern, dass er seinen gefassten Entschluss, wie auch immer, nicht realisieren kann. Daher ist Mensch in seinen Entscheidungen nicht mehr autonom, d.h. das kosmische Gesetz , das zeitliche Paradoxien verhindert, erweist sich letztlich als Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Menschen. Dies bedeutet, dass der Zeitreisenden die vergangenen Voraussetzungen seiner zukünftigen Existenz nicht verändern kann, selbst wenn sich Gelegenheit dazu bietet und er es will . Es wird sogar vermutet, dass der freie Wille nur ein physikalischer Effekt zweiter Ordnung ist, und dass die Naturgesetze dem freien Willen nicht erlauben, widerspruchsvolle Ereignisse in Gang zu setzen. Daher können keine zeitparadoxen Situationen existieren.

Der kosmische Zensor verhindert so, dass sich der Mensch in bestimmten konkreten Situationen autonom verhalten kann. Die Natur die menschliche Willensfreiheit ist über eine globale Konsistenzbedingung einschränkt. Genauer gesagt, nicht alle lokalen Handlungen eines Menschen, die theoretisch möglich sind, können durch seinen Willen gesteuert werden. Wenn ein lokal mögliches Ereignis mit den globalen Bedingungen nicht verträglich ist, weil die Konsistenz mit zukünftigen Ereignissen gefährdet ist, so werden Wirkungen induziert, die das kritische Ereignis verhindern. Da bei Experimenten auf geschlossene zeitartige Kurven der freie Wille des Experimentators eine entscheidende Rolle spielt, muss diese naturgesetzliche Zensur auch die Willensfreiheit des Menschen regeln.

Nullhypothese für Zeit-Paradoxe : Für Makroprozesse, die die Kausalität verletzen, geht die Wahrscheinlichkeit gegen Null. Zeitreisen, die die Kausalität wenig stören, haben eine von Null verschiedene Wahrscheinlichkeit, dass sie funktionieren.
Dahinter steht die tiefsitzende Grundannahme, dass die Natur in sich widerspruchsfrei arbeitet. Zirkulär und merkwürdig dürfen die Ereignisfolgen schon sein, allerdings müssen sie miteinander verträglich sein. Das Prinzip der Selbstkonsistenz schränkt die bei Kausalverletzungen möglichen Ereignisfolgen bei Zeitreisen erheblich ein. Wenn durch den Zeitreisenden, der aus der Gegenwart kommt, ein Ereignis in der Vergangenheit verursacht wird, dann kann dieses Ereignis in der Vergangenheit nicht benutzt werden, um eine Botschaft in die Zukunft zu senden, die den Zeitreisenden in der Gegenwart veranlassen könnte, das spezielle Ereignis in der Vergangenheit nachträglich zu verhindern. Es muss also einen naturgesetzlichen Mechanismus der zeitlichen Rückkoppelung geben, der widerspruchsvolle Ereignisketten dieser Art verhindert.

Bisher hat die Wissenschaft dies noch nicht untersucht. Den sie macht die praktische Annahme, dass menschliche Manipulationen von Energie und Materie, die lokal mit den physikalischen Gesetzen verträglich sind, dies auch im globalen Sinne sind. Die Idee der praktischen Zeitreise stellt diese Annahme in Frage. Ein Ausweg aus dieser Situation ergibt sich, wenn man die Autonomiebedingung bei zirkulären Ereignisfolgen fallen lässt. Die Freiheit eines Zeitreisenden ist stark eingeschränkt. Zeitreisen sind im Prinzip erlaubt, nur können sie das faktisch Geschehene nicht verändern. Die Natur kann jederzeit und spontan einen Umstand erzeugen, der verhindert, dass der Zeitreisende die Vergangenheit ändert bzw. ändern kann. Irgendwie existieren alle Ereignisse auf der Zeitschleife, sind unveränderlich und stören sich nicht.

Ist damit der freie Wille eine Illusion, oder wird der freie Wille nur gehemmt, wenn der Mensch sich auf eine Zeitreise begibt? Seit Menschen denken können, haben sie sich mit dem Problem menschlicher Autonomie auseinandergesetzt. In ihren Religionen, Mythen und Philosophien haben sie viel darüber zusammengetragen. Gibt es eine göttliche Vorsehung? Gibt es einen vorherbestimmten Lebensplan, der dem Menschen seine Rolle zuweist? Ist das Schicksal in engen Grenzen unabänderlich? Unveränderlich auch dann, wenn ein Wink der Götter das Wissen um die Zukunft enthüllt? Die Gestalt der unglücklichen Kassandra, eine berühmten Seherin in der griechischen Mythologie, ist ein klassisches Beispiel für logische Konsistenz in den Gesetzen des Schicksals. Die Götter gaben Kassandra die Gabe der Zukunftsschau, allerdings war mit dieser Fähigkeit das unausweichliche Schicksal verknüpft, dass ihre Gabe für alle anderen Menschen nutzlos sein sollte. Die Götter verhinderten, dass Kassandras Erkenntnisse von den Menschen kausal verwendet werden konnten. Sie bestimmten, dass ihr kein Mensch Glauben schenken sollte, wenn sie die Wahrheit über die Zukunft verkündete.

Für den Fall, dass der Zeitreisende A in der Vergangenheit seinen Großvater erschießen will, muss die Natur Vorsorge treffen. Irgendein merkwürdiger Umstand, eine Ladehemmung zum Beispiel, oder ein plötzlicher Gedächtnisausfall von A, verhindern den paradoxen Mordanschlag. Die Absicht, einen realen Widerspruch zu erzeugen, muss schon im Ansatz durch den kosmischen Zensor vereitelt werden. Dieser durchsichtige Versuch, einen logischen Widerspruch zu erzeugen, spricht nicht grundsätzlich gegen die Möglichkeit der Begegnung mit Personen der Vergangenheit. Bei tatsächlichen Zeitreisen muss der kosmische Zensor nur verhindern, dass Handlungen vorgenommen werden, die bereits stattgefundene Ereignisse aufheben könnten. Dies könnte in der Form von zusätzlichen Ereignissen geschehen, die sich nicht in der Erfahrung des früheren Ichs manifestieren können, die aber verhindern, dass vergangene Ereignisse ausgelöscht werden. Im Fall (D) ist lässt sich ein logischer Widerspruch ohne Probleme vermeiden. Die Verhältnisse müssen nur geeignet interpretiert werden. Wenn das ältere Ich sich nicht erinnern kann, als jüngere Person mit einem Besucher aus der Zukunft Kontakt aufgenommen zu haben, so ist das kein logischer Widerspruch. Die scheinbare Widerspruch löst sich sofort auf, wenn das ältere Ich gesteht, dass sein Gedächtnis nicht gut genug funktioniert. Der kosmische Zensor ist möglicherweise nicht in der Lage, die Selbstbegegnung eines Menschen mit seinem früheren Ich zu verhindern. Wenn er nur die Option besitzt, jede Erinnerung an diesen Vorfall streichen, dann erfüllt er ebenfalls seine ihm zugedachte Aufgabe. Die vom kosmischen Zensor geförderte und allgemein anerkannte Fehlerhaftigkeit des menschlichen Gedächtnisses trägt so zur logischen Konsistenz der zirkulären Ereignisfolgen bei.

Der Zensor sorgt dafür, dass für die beteiligten Zeitreisepersonen entweder das Gedächtnis falsch funktioniert oder dass sie keine freie Wahl in ihren Entscheidungen haben. In beiden Fällen wird der direkte logische Widerspruch umgangen. Der kosmische Zensor wacht über ein Prinzip, das unsere Wissenschaft als Grundlage ihrer eigenen Existenz für unverzichtbar erklärt hat. Irgendwie müssen Vergangenheit und Zukunft mittels geeigneter Naturgesetze kooperieren, um logische Unmöglichkeiten auszuschließen. Das Prinzip lautet vereinfacht:

Konsistenzprinzip für geschlossenen zeitartige Kurven : Eine zirkuläre Ereignisfolge kann sich nur dann ereignen, wenn alle Ereignisse auf der Zeitlinie in ihrer Gesamtheit, d.h. global, selbstkonsistent sind.
Welten, in denen sich logische Widersprüche vertragen sollen, lassen sich einfach nicht vorstellen. Und wir vermuten daher, dass eine Zeitmaschine, die unsere Logik sprengt, niemals real existieren kann. Aber was ist, wenn sich die Komplexität der Natur nicht in unsere anerkannte Wahr-Falsch-Logik hineinzwängen lässt? Gibt es einen logischen Grund für das Universum? Wir wissen z.B. nicht welche erste Ursache dem Big Bang vorangegangen ist. Aber das Universum ist da. Könnten wir uns nicht ebenso eine Zeitmaschine vorstellen, die real existiert, ohne dass ein logisch einsichtiger Grund vorhanden ist, warum sie überhaupt funktioniert?

Die Mathematiker und Physiker versuchen unablässig, der Welt eine rationale und logisch einwandfreie Struktur zu geben. Und die Natur widerstrebt diesen Bemühungen, indem sie mit immer neuen Überraschungen und paradoxen Enthüllungen aufwartet. Zu jeder vernünftigen Erklärung, die der Mensch findet, gibt die Natur neue Rätsel und Widersprüche umsonst dazu. Der Dichter Stephan Crane warnt vor der Illusion, der im Endlichen befangene Mensch könne sich zum wissenden Meister des Universums entwickeln: " Zum Universum spricht ein Mann: Schau her ich bin! Na und? Verpflichtung seh ich nicht darin!"

Jedes erstellte wissenschaftliche Modell der Welt führt in seiner Weiterentwicklung notwendig zu dem Punkt, an dem das Universum unmissverständlich erklärt, dass es sich nicht verpflichtet fühlt, dieses Modell weiter zu erfüllen. Möglicherweise ist das Universum prinzipiell unvorhersehbar organisiert, d.h. kein rationales Modell der Physiker kann die tiefliegende Dynamik des Universums erfassen. Nur wir weigern uns ständig, die endlichen Grenzen eines rationalen Verstandes in Demut anzuerkennen. Bewusstsein, Intelligenz , menschliche Perspektiven und Ordnungen könnten sich letztlich nur als unbedeutende Zufallsschwankungen im universalen Hintergrundrauschen unendlich komplexer Energiemuster herausstellen. Vielleicht ist es die eigentliche Aufgabe des kosmischen Zensors, uns über den wahren Sachverhalt eines grundlos komplexen Universums zu täuschen. Könnten wir uns von dieser Zensur befreien, würden wir unter Umständen erkennen, dass Zeitreisen, Einhörner, Tachyonen, Parallelwelten, höherdimensionale Lebewesen, Zeitgyroskope und Zeitspiegel ohne Widersprüche nebeneinander in einem Superuniversum, das mentale und physikalischen Räume integriert, existieren können. Die Indizien für eine fundamentale Neuorientierung unserer Vorstellungen von Zeit sind zweifelsfrei vorhanden, doch es fehlt ein physikalisches Genie, das den gordischen Knoten der verwirrende Pfade der Theorien entwirrt und die neuen Rätsel der Zeitdimension auflöst.

Möglicherweise schneidet der Einstein-Minkowski-Lichtkegel einen kausalen Bereich aus einer Überwelt voll von lebendigen Vibrationen, von archetypischen Bildern, Phantasien, Bedeutungen und traumhaften Ereignissen aus. Die Physiker bezeichnen die Ereignisse in Raumteilen, über die sie nichts wissen können als raumartig. Die raumartige Sphäre könnte ein Symbol für die inneren, imaginären und mentalen Räume des Menschen sein, deren vollständige Erforschung noch aussteht. Die Idee der Zeitmaschine ist heute in der imaginären Welt an die Grenzlinie zur realen Welt gerückt. Sie drängt zur Verwirklichung. Ob sie jemals beiden Welten angehören wird, wird die Zeit selbst zeigen.




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