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Kapitel 9:

Durch den Zeitspiegel: Antiwelten


Wie wir schon von Archibald Wheeler gehört haben, gilt unsere normale Zeitordnung nicht notwendig auch für atomare Prozesse. Sein Kollege, der Physiker Richard Feynman, brachte 1948 eine zusätzliche Idee ins Spiel, die gewisse Elementarteilchen in der Zeit rückwärts reisen lässt. Er entwickelte eine Theorie, in der ein Antipartikel als ein Partikel aufgefasst werden kann, das sich in die Vergangenheit bewegt. Als Feynman-Diagramm findet sich diese Idee in anerkannten Lehrbüchern der Physik.

Abb. (Feynman-Diagramm)

Ein Elektron A bewegt sich nach rechts in die Zukunft. An der Stelle (2) wird eine Elektron-Positron-Paar B und C erzeugt. Das Positron C läuft nach links und vernichtet das Elektron A an der Stelle (3). Das Elektron B setzt seine Bahn fort (4). Aus einer übergeordneten Zeitperspektive läßt sich dieser Sachverhalt so darstellen, als ob nur ein einziges Teilchen beteiligt ist ; das Elektron A geht vorwärts in der Zeit bis (3), läuft dann in der Zeit zurück nach (2) und von da wieder vorwärts in der Zeit nach (4). Das Positron wird hier als eine Elektron aufgefasst, das sich rückwärts in der Zeit bewegt.

Über die Antimaterie gibt es wissenschaftlich abgesicherte Resultate. Zu fast allen Teilchen wurden die zugehörigen Antiteilchen experimentell bestätigt. Ein atomares Teilchen unterscheidet sich von seinem Antiteilchen nur durch das Vorzeichen seiner Ladung. Die Vertauschung der Ladung bei Elementarprozessen bezeichnet der Physiker als Ladungskonjugation und verwendet das Symbol C. Die Physiker gehen von der Voraussetzung aus, dass die Naturgesetze invariant gegenüber bestimmten Symmetrieoperationen sind. Man kann nicht nur die Ladungen vertauschen ( C ), sondern auch die Händigkeit im Raum. Betrachten wir die Welt und ihre Prozesse in einem Spiegel, so können wir fragen, ob die Prozesse im Spiegel genauso ablaufen wie in der originalen Welt. Wenn sich bei einer solchen Inversion die Naturgesetze nicht ändern, bleibt die sogenannte Parität (P) der beteiligten Teilchen erhalten.

Tatsächlich hat sich gezeigt, dass beim Zerfall von Elementarteilchen diese Parität nicht erhalten bleibt . Ändert man aber gleichzeitig das Vorzeichen der Ladung (C) so erhält man wieder einen Prozess, der in der Natur erlaubt ist. Daher spricht man von einer CP-Invarianz der Naturgesetze. Als Zeitinvarianz (T) bezeichnet man den Sachverhalt, dass Prozesse auch bei Zeitumkehr wieder Prozesse liefern, die in der Natur vorkommen. Spielt man zum Beispiel die Filmaufnahme der Bahn einer Billardkugel rückwärts - umgekehrte Zeitrichtung - ab, so sehen wir eine Bewegung, die nach den Gesetzen der Physik ebenfalls möglich ist.

Allerdings deutete sich bald an, dass bei Zerfallsprozessen mit neutralen K Mesonen die CP-Symmetrie verletzt wird. Konkret bedeutet dies, dass die Verletzung der CP Invarianz auch eine Verletzung der T-Invarianz ergibt. Damit ergibt sich die Vermutung, dass die Natur zwischen den Zeitrichtungen doch Unterschiede macht. Es lässt sich dabei spekulieren, ob man das neutrale K Meson vielleicht benutzen könnte, um die Vergangenheit zu beeinflussen.

Ein Wissenschaftler, der intensiv über Welten aus Antimaterie mit einem gegenläufigen Zeitpfeil nachgedacht hat, war der berühmte Atomphysiker Andrej Sacharov. Um die Baryonen-Asymmetrie im Universum zu erklären, postuliert er die Existenz eines Zwillingsuniversums. Beide Universen sind durch den Big Bang miteinander verknüpft. Das eine besteht aus normaler Materie, das andere besteht aus Antimaterie. In diesem Modell besitzen beiden Universen entgegengesetzte Zeitpfeile und sind spiegelsymmetrisch zueinander. Interaktionen zwischen den beiden Universen sind nur über Wurmlöcher bzw. Singularitäten möglich.

In der Zeit rückwärts laufende Elektronen und Theorien über Antiuniversen mit Gegenzeit geben natürlich Anlass zu Spekulationen über mögliche Zeitreisen. Kann man die rückwärts gerichtete Zeit der Antimaterie für eine Reise in die Vergangenheit nutzen? Offensichtlich kann man nicht so einfach in das Antiuniversum und in die Gegenzeit reisen. Antiteilchen können aber in unserem Universum über Zerfallsprozesse in Teilchenbeschleunigern gebildet werden. Physiker verstehen das rückwärtsreisende Elektron als einen Beschreibung, die nur im Mikrokosmos Gültigkeit besitzt. Ursache und Wirkung im Makrokosmos werden dadurch nicht beeinträchtig. Es gibt daher aktuell keinen erkennbaren Bezug des Phänomens der antimateriellen Zeitumkehr zu makroskopischen Effekten. Der Umweg über die Antiwelt ist daher für potentielle Zeitreisende keine aussichtsreiche Option.





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