Es ist das Verdienst des Mathematikers Kurt Gödel als erster gezeigt zu haben, dass unter
bestimmten, sehr speziellen Voraussetzungen Weltlinien in einem Modell des
Universums auftreten können, die unsere gewohnten Vorstellungen von der Zeitordnung
zerstören. Wie er in einem Papier von 1949 nachwies, steht die Existenz von Weltlinien,
die zeitartig in sich zurückkehren nicht im Widerspruch zur Allgemeinen Relativitätstheorie,
zu einer Theorie, die von der modernen Physikergemeinde als das beste Werkzeug zur
Untersuchung von allgemeinen Raumzeiten anerkannt wird. Gödel's Ausgangsüberlegung war,
wie der theoretisch mögliche Zusammenbruch des Kosmos in einem finalen Kollaps verhindert
werden kann. Er fand heraus, dass die zusammenziehenden gravitativen Kräfte durch
Zentrifugalkräfte des Kosmos ausbalanciert werden, wenn sich der Kosmos dreht. Ein
rotierendes Universum besitzt keine ausgezeichnete spezielle Rotationsachse, das
Zentrum der Rotation liegt, wie das Zentrum der Expansion, überall. Jeder Beobachter,
gleichgültig an welchem Ort, findet sich im Zentrum der kosmischen Rotation. Die rotierenden
Massen des Kosmos sind über die Einsteinschen Gleichungen mit Raum und Zeit gekoppelt.
Daher verdrehen sie die Raumzeitbereiche im großen Maßstab. Es existieren nun in diesem Modell
besondere Weltlinien, die die Eigenschaft haben, dass sie sich in der verdrehten Raumzeit schließen.
  
Gödel fand heraus, dass Lichtkegel, die einen Bereich zeitartiger Kurven begrenzen, durch das
rotierende Universum in Richtung der Rotation gekippt werden. Ihre Verformung ist so
angelegt, dass Teile des zukünftigen Lichtkegels einer bestimmten Region sich mit den
Teilen des Vergangenheitslichtkegels einer benachbarten Region überschneiden. In genügend
großem Abstand von der Rotationsachse kippen die Lichtkegel so, dass Wechselwirkungen zwischen
Zukunftskegel und Vergangenheitskegel jeweils zweier benachbarter Lichtkegel stattfinden
können. Ein Körper, der sich entlang einer solchen ausgezeichneten Linie bewegt, wird in die
Nähe von Raumzeitpunkten seiner Vergangenheit zurückkehren können, obwohl er sich in seiner
Eigenzeit nur vorwärts in die Zukunft bewegt hat. Die Zeitreise vollzieht sich durch eine
zukunftsorientierte Vorwärtsbewegung der  "Zeitreiseobjekte" in der Raumzeit entlang einer
zulässigen Weltlinie des Gödelkosmos. Ein "Reisender im Gödelkosmos" ist daher in der Lage,
sich durch die spezielle Wahl seiner Weltlinie so zu bewegen, dass er in die Nähe von Ereignissen
seiner entfernten Vergangenheit gelangt.
  
Der Gödelschen Zeitreise geschieht als einfache Raumfahrt. Als Zeitmaschine funktioniert
hier der gesamte Gödelkosmos. Aus der Theorie folgt weiter, dass diese Raumfahrt entlang
der zeitartig geschlossenen Weltlinie fast um das ganze Universum herumführt. Vereinfacht
lässt sich sagen:  wenn Du im Gödelkosmos weit genug fährst, kommst Du vor Deiner Abfahrt
wieder zurück.
  
  
Der gesunde Menschenverstand muss solche geschlossenen Zeitlinien als äußerst paradox
empfinden. Der Philosoph und Physiker Hans Reichenbach hat die Situation einer Zeitschleife
in einem Gedankenexperiment auf irdische Maßstäbe übertragen Auch er hält die Ereignisse,
die mit einer in sich geschlossenen, zeitartigen Weltlinie verbunden sind für höchst sonderbar,
aber prinzipiell nicht für unmöglich.
 
  
 Abb. Weltlinien I und II
 
  
Die Weltlinien I und II seien die Weltlinien je eines Menschen  unserer Raum-Zeit.
Der Philosoph Hans Reichenbach erläutert dies so  :
"Wir begegnen eines Tages einem Menschen, der uns erklärt, wir seien sein früheres Ich.
Er kann uns auch genaue Auskünfte über unseren Zustand geben, berichtet etwa völlig
zutreffend, was wir gerade denken. Er prophezeit uns auch unser ferneres Schicksal,
darunter sogar, dass wir eines Tages selbst in der Lage sein werden unserem früheren
Ich zu begegnen. Wir dagegen halten den Menschen für geisteskrank und gehen weiter.
Dasselbe denkt unser Genosse I, der uns zustimmt. Der fremde Mensch geht mit einem
überlegenen Lächeln weiter; wir verlieren ihn  aus unserem Gesichtskreis, ebenso
den Genossen I, und vergessen beide. Nach Jahren treffen wir einen jüngeren Menschen,
den wir plötzlich als unser früheres Ich erkennen. Wir sagen ihm wörtlich dasselbe,
was damals jener ältere Mann zu uns gesagt hat, er widerspricht uns und hält uns
für geisteskrank - wir sind diesmal die überlegenen und gehen weiter.
Auch den Genossen I sehen wieder, in genau demselben Alter wie damals;
er lehnt jedoch jede Bekanntschaft mit uns ab und hält zu dem jüngeren Ich.
In der Folge bleiben wir jedoch mit ihm auf dem gleichen Wege, während das
jüngere Ich aus dem Gesichtskreis kommt. Von da ab läuft alles weitere Leben normal. "
 
 
Diese Beschreibung einer seltsamen Selbstbegegnung sieht auf den ersten Blick recht harmlos
aus. Doch bei einem genaueren Durchdenken der Situation erscheinen Probleme, die
anerkannte Grundsätze der Wissenschaft ins Wanken bringen. Die Anordnung der Ereignisse ist
kreisförmig, d.h. es ist im Prinzip möglich, dass eine Wirkung zeitlich vor ihrer eigenen
Ursache liegt. Wir verändern das Gedankenexperiment an einem entscheidenden Punkt. Das
Ich, das in der Zeit zurückgeht, kann in seiner eigenen Vergangenheit Handlungen vornehmen,
die genau die später eintretenden Ereignisse verhindern, welche die Reise in die Vergangenheit
in Gang gesetzt haben. Das ältere Ich könnte sein jüngeres Ich, unter Umständen mit Zwang,
davon zu überzeugen, keine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen, auch wenn sich in der
Zukunft eine verlockende Gelegenheit dazu bieten sollte.
  
Dieses Gedankenexperiment rüttelt fest an unseren gewohnten Vorstellungen von Ursache und
Wirkung. Eine Selbstbegegnung der geschilderten Art könnte die zeitliche Reihenfolge zweier
Ereignisse völlig zerstören. Schließt sich eine Weltlinie, so erweist sich die lokale Zukunft
als Teil ihrer eigenen Vergangenheit. Die Zeit hätte damit ihre objektive Eigenschaft verloren,
die Dinge nach Ursache und Wirkung geordnet wiederzugeben. Das Reichenbachsche Beispiel regt
zweifellos zu weiteren Gedankenexperimenten an, die mit der Physik und Mathematik des
Gödelkosmos verträglich sind.
  
Einen Mensch, der auf  einer  geschlossenen Weltlinie aus der Zukunft zurückkehrt und sich
selbst begegnet,  haben wir zwar schon in einem erfolgreichen Hollywood-Film  gesehen, aber
wir wären sehr überrascht, wenn es uns wirklich passieren würde. Einstein war von der Gödelschen Analyse
zunächst ebenso überrascht, wie alle anderen normal denkende Menschen auch. Er vermutete hoffnungsvoll,
dass sich physikalischen Gründe finden lassen, die eine Selbstüberschneidung von Weltlinien
verhindern, so dass keine paradoxe Selbstbegegnungen auftreten können. Tatsächlich erfüllt
das aktuelle Universums  die physikalischen  Voraussetzungen für das Gödelsche Modell in
keiner Weise.
  
Doch das Problem liegt tiefer. Was den Physiker mehr Sorgen macht, ist die Tatsache, dass die
Einsteingleichungen Modelle mit  geschlossenen zeitartigen  Kurven im Prinzip zulassen. Nach
und nach wurde klar, dass die Gödelsche Lösung kein exotischer mathematischer Einzelfall war.
Andere Modelle zeigten in den Jahren nach 1949, dass die Möglichkeit für bizarre
Zeitverhältnisse irgendwie in den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie verankert
ist. Theoretisch ist sogar denkbar, dass moderne Computersimulation mit realistischen Modellen
der Raumzeit zeigen, dass die gegenseitige Umkreisung von zwei Schwarzen Löchern geschlossene
Zeitkurven vom Gödeltyp erzeugt, die außerhalb der Ereignishorizonte existieren.
  
Zur gegenwärtigen Zeit wissen die Theoretiker nicht, wie sie die theoretische Existenz
von geschlossenen zeitartigen Kurven  deuten sollen. Einige Theoretiker sind der Meinung,
dass die geschlossenen zeitartigen Kurven für das reale Universums tabu sind, da sie gegen
das allgemein anerkannte Kausalitätsprinzip verstoßen. Doch niemand kann dieses Tabu logisch
begründen. Es hat eher den Charakter einer emotionalen Abneigung. Noch wissen die Astrophysiker
nicht genau, ob Modelle, die geschlossenen zeitartige Kurven zulassen, eine praktische
Bedeutung haben. Wenn aber geschlossene, zeitartige Kurven, in welcher Form auch immer,
real in unserem Universum existieren,  dann eröffnen sie verlockende Aussichten auf
potentielle Zeitreisen. Wie wir seit Gödel wissen,  ist "Vorwärts in die Vergangenheit oder
Zurück in die Zukunft"  kein reines Phantasieprodukt, das nur für Hollywood interessant wäre,
sondern eine Option der Natur, die uns scharfsinnige Logik und  höchste wissenschaftliche
Kreativität vermittelt hat.
  
Originalpublikation:
Kurt Gödel: 
An Example of a New Type of Cosmological Solutions of Einstein’s Field
Equations of Gravitation. Rev.Mod. Phys. 21, 3 (Jul. 1949), 447–450
 
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