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Kapitel 2:

Chronoreisen aus allen Zeiten


Die Träume über die freie Beweglichkeit des Menschen in der Zeit sind so alt wie die Menschheit; Zeitreisen der mentalen Art hat es immer schon gegeben. Es gibt eine Vielzahl von gut dokumentierten Zeitreise-Erfahrungen, die sich nur in der Psyche des Menschen ereignet haben. Im Schlaf, unter der Wirkung von psychoaktiven Substanzen, bei Hypnose, durch Meditation und in Trance tauchen oft Wahrnehmungen und Bilder auf, die aus einer entfernten Zeit stammen. In diesen veränderten Bewusstseinszuständen können Ereignisse kontaktiert werden, die nicht in der Gegenwart zu finden sind.

So wird berichtet, dass die Priesterin des antiken Heiligtums von Delphi, Phytia, in Trance verfallen konnte, indem sie heilige Dämpfen aus einer Erdspalte des Tempels einatmete. Dadurch wurde sie mental in die Lage versetzt, zukünftige Realitäten in inneren Visionen zu kontaktieren. Dem Ratsuchenden konnte sie dann mit einem Orakelspruch Hinweise auf seine Zukunft geben. Die Überlieferung sagt allerdings , dass ihre Orakelsprüche so rätselhaft und vieldeutig angelegt waren, dass sich daraus mehrere Interpretationsmöglichkeiten für die Zukunft des Fragenden ableiten ließen.

In vielen alten Sagen und Mythen wird auch erzählt, wie der Mensch mit Hilfe jenseitiger Mächte, die Schranken der Zeit überwinden kann. Den überirdischen und jenseitigen Wesen wurde die Fähigkeit zugeschrieben, in die Zukunft schauen zu können. Und manchmal gewährten sie dem irdischen Wesen die Gnade, einen flüchtigen Blick auf die Zukunft zu erhaschen. Insbesondere aus den indischen Göttermythen sind viele schöne Erzählungen bekannt, in denen die Götter den sterblichen Wesen Zugang zu anderen Räumen und Zeiten verschaffen.

So steht der Held Arjuna am Vorabend einer entscheidenden Schlacht zwischen zwei herrschenden Eliten seines Landes. Arjuna zweifelt an dem Sinn des Kampfes gegen sein eigenes Volk. Kurz vor Beginn der Schlacht beginnt ein tiefsinniges Gespräch zwischen dem Gott Krischna und Arjuna selbst. Krischna überzeugt den Krieger Arjuna von der Notwendigkeit des Kampfes. Er weist nach, dass der Feind schon geschlagen ist. "Der Feind, o Arjuna , ist schon erschlagen. Ich bitte Dich die notwendige Verbindung herzustellen." In einer Vision zeigt er Arjuna Bilder der Zukunft. In diesen Bildern erblickt Arjuna den zukünftigen Tod seiner Feinde. Der Blick auf die Zukunft zeigt Arjuna, was er zu tun hat und wie er seinem Schicksal folgen kann.

Die alten Sagen berichten aber auch von körperlichen Zeitreisen in der äußeren Welt; die durch Zauberkraft und Verwünschungen bewirkten Versetzungen in Raum und Zeit. Alte Geschichten erzählen, dass sich z.B. der Zauberer Merlin mit Hilfe geheimnisvoller Kräfte an jeden Ort und in jede Zeit versetzen konnte.

Die menschliche Fähigkeit zur Zeitreise und damit zur Transzendenz der irdischen Welt wurde immer wieder behauptet und in anregenden Erzählungen wiedergeben. Die Existenz jenseitiger Reiche, die irgendwie parallel zu unserer 3-D-Welt liegen, galt in der vorwissenschaftliche Zeit als unbestritten. Dort sollten die merkwürdige Wesen leben, die in der Lage waren, das irdische Zeitmaß zu manipulieren. Den extradimensionalen Wesen stand es auch frei, sich selbst in unserer normalen Welt und Zeit nach Belieben zu manifestieren. Manchmal, in ungewöhnlichen Situationen, berührten sich die Zeiten der beiden Welten; und für einen kurzen Augenblick wird dem Menschen die Gnade zuteil, einen Blick auf die andere Seite zu werfen - und die Zeit gerät aus den Fugen.

Es gibt wundersame Berichte von Begegnungen der Menschen mit Feen und Hexen, Riesen und Zwergen, Elfen und Trollen, Engeln und Dämonen. Viele alte Geschichten ranken sich um harmlose Wanderer, die sich in einem Hexenkreis des Waldes oder in einer wundersamen Höhle verlieren, verlockt durch eine überirdische Musik. Dort in der Parallelwelt erleben sie wenige Stunden eines seltsamen Rausches im Tanz mit Elfen und Naturgeistern. Gelingt ihnen schließlich die Rückkehr, so stellen sie fest, dass in der realen Welt Monat vergangen sind. So oder in ähnlicher Form finden sich im alten Sagenschatz fast aller Völker und Kulturen merkwürdige Einsichten in die Existenz jenseitiger Zeiten und Räume. Als effektive "Zeitmaschinen" funktionieren im Märchen zauberkräftige Gegenstände wie Ringe, Amulette und Stäbe; das Drehen eines Zauberrings transportiert fast alle Märchenprinzen durch Raum und Zeit.

Wer kennt nicht das Märchen, in dem eine gute Fee drei Wünsche gewährt. Es gibt viele Varianten dieses Märchens, doch die Geschichte endet immer gleich. Der Held muss den dritten Wunsch verwenden, um die unliebsamen Folgen der ersten beiden Wünsche in der Zeit ungeschehen zu machen. Er kehrt so in die eigene Vergangenheit zurück, um der alternativen Zukunft zu entgehen, die ihm drei Wünsche bringen sollte

Der riesigen Schatz an überlieferten Mythen, Vorstellungen, und Geschichten über imaginäre und jenseitige Welten aus allen Kulturkreisen verleitet zu der Vermutung, dass parallel zu unserer Welt andere Dimensionsbereiche existieren, die irgendwie mit unserer 3-D-Welt verknüpft sind und aus denen Wirkungen in unsere Welt hinübergehen können. Die Beschreibungen und Berichte über dies jenseitigen Welten sind mehr oder weniger gut dokumentiert: der göttliche Olymp, das nordische Walhalla, die eleusischen Felder, das biblische Paradies, die Gärten der Hesperiden, der Hades, das Bardo der Tibeter, die ewigen Jagdgründe, das ferne Land Shambala, der Berg Meru und die glückselige Insel Avalon. Unzählige und wundersame Legenden ranken sich um diese Jenseitsreiche und deren Bewohner: Götter, Engel und Dämonen. Und immer wieder wird hervorgehoben, dass die Zeit dort eine andere Qualität besitzt. Leider sind diese interessanten Beschreibungen und Modelle extradimensionaler und überzeitlicher Welten nicht Gegenstand der modernen Naturforschung. Die moderne Wissenschaft neigt zu der Ansicht, dass es zur Zeit keine brauchbaren Hinweise auf die Existenz jenseitiger Dimensionen und Wesen gibt. Diesen uralten Erzählungen und überlieferten visionären Erlebnisse können in unserer modernen und aufgeklärten Zeit nur Gegenstand kulturhistorischer, philologischer und literaturwissenschaftlicher Studien sein.

In jedem Fall liefern diese alten Quellen reichhaltiges und anregendes Material zum Thema der verdrehten Zeit oder der Zeitreise. Im Märchen von Dornröschen hat ein böser Zauber die Zeit auf dem Schloss angehalten. Dornröschen und ihr ganzer Hofstaat sind in einem hundertjährigen Schlaf versunken, um schließlich von einem jungen Prinzen erlöst zu werden. In dem Moment, in dem sich der Fluch auflöst, erreicht den Küchenjungen noch die Ohrfeige, zu der ein Koch hundert Jahre zuvor ausgeholt hatte. Das Motiv vom langen Schlaf, der den Lauf der Zeit vergessen macht, findet sich noch in vielen anderen Märchen und Sagen. So auch in der Erzählung vom Mönch von Heisterbach. Dieser Mönch geht eines Tages in den blühenden Klostergarten, um in stiller Andacht zu beten. Dabei versinkt er in ein kurzes Schläfchen. Nachdem er erwacht, findet er das Kloster in Ruinen und die Umgebung des Klostergartens seltsam verändert. Nach und nach erkennt er, dass die Zeit, während er nur kurz eingenickt war, viele Jahrhunderte übersprungen hat. Seine Zeit ist nicht mehr und er befindet sich in einer anderen Zeit, die sehr viel später liegt. Er erfährt von den Menschen seiner neuen Gegenwart, dass die Mönche seines Klosters schon lange aus der Gegend weggezogen sind. Und er erinnert sich mit Schrecken an die Bibelworte, dass tausend Jahre für den Herrn nur ein Augenschlag seiner Wimpern bedeuten.

Die Verdrängung der Zeit durch den Schlaf, den kleinen Bruder des Todes, spielt auch in der Sage vom Kaiser Barbarossa eine entscheidende Rolle. Es wird erzählt, dass der Kaiser Friedrich Barbarossa im Inneren des Kyffhäuserberges auf den Anbruch einer neuen Zeit wartet. Alle hundert Jahre erscheint vor ihm ein Zwerg, den er fragt, ob noch Raben um den Berg kreisen. Beantwortet der Zwerg die Frage positiv, so muss Barbarossa noch weitere hundert Jahre warten. Im Volksglaube ist mit seiner Wiederkehr ein Zeitalter in Frieden und Einigkeit verbunden. Die Sage drückt die Überzeugung der einfachen Leute aus, dass die zerstörerische Kraft ihrer eigenen Zeit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht besiegen kann; und eines Tages wird Kaiser Barbarossa wiederkehren und sie in eine bessere Welt führen. Die modernen Interpreten der Kyffhäusersage sehen in ihr ein Symbol, in dem die alte Kaiserherrlichkeit verklärt wird. Für unsere aufgeklärtes Verständnis ist eine Wiederauferstehung des Kaisers nicht möglich.

Zeitreisende Kaiser können nur Thema fiktiver Erzählungen sein. Für den unwahrscheinlichen und nur hypothetischen Fall, dass Kaiser Barbarossa heute ans Ende seiner Zeitreise gelangen würde, hätte er große Schwierigkeiten, seine mittelalterliche Psyche an die Kultur unserer modernen Zeit anzupassen.

Das Motiv durch einen magischen Zauberschlafes die Zeit zu überwinden, wird in den Märchen und Sagen in der Regel für die Reise in die Zukunft verwendet; die körperliche Reise in die Vergangenheit kommt in Märchen kaum vor. Die alten Erzählungen berichten auch von nicht-körperlichen, nur mentalen Kontakten mit den verschiedenen Zeiten. Für Götter und Menschen gleichermaßen gibt es Bewusstseinszustände, in denen sie Visionen zukünftiger und vergangener Welten erfahren können. Der Zugang zu allen Zeiten, sowohl zu den zukünftigen als auch den vergangenen Ereignissen, ist in den alten Mythologien nur einzelnen Göttern oder berufenen Menschen, den Sehern und Propheten, vorbehalten.

Bei den alten Germanen besaßen die drei Nornen den beherrschenden Zugriff auf die Zeit. Sie repräsentieren die personifizierten Mächte des zeitumgreifenden Schicksals. Am Fuße der Weltesche weben die drei Frauen die Lebensfäden der Menschen und Götter. Urd, Werdandi und Skuld kennen die Zukunft und die Vergangenheit, sie besitzen den geheimen Schlüssel zu allen Zeiten. Dort wo alle Lebensfäden und Schicksale zusammenlaufen hat die Zeit ihre Macht verloren. Die Nornen sind nicht urzeitliche Mächte, die schon vor der Weltschöpfung existierten, sondern sie sind aus dem Göttergeschlecht hervorgekommen und begleiten die aktuelle Weltperiode, die schließlich in einer Art Götterdämmerung vergehen wird. Ihre Jugend verbrachten sie bei den Riesen, den Widersachern der Götter im kosmischen Endkampf, der Weltendämmerung. Sie sehen in ihren Visionen den Morgen einer neuen Welt heraufkommen. Der Lichtgott Baldur wird den Götterkampf durch Wiederauferstehung überleben und in einen neuen Anfang hinüberwechseln. Gegen den Schicksalsspruch der Nornen haben selbst die Götter keine Möglichkeit der Intervention. Wohl gibt es Möglichkeiten, die Geschichte der Zukunft oder der Vergangenheit in Ausnahmefällen zu erfahren, aber niemals eine echte Chance, die Lebensfäden zu verändern, um es anders zu machen, als die Nornen es gesehen haben.

In der literarischen Phantasie entwickelten sich die überlieferten Motive der Zeitüberwindung ungestört weiter und schufen neue Prototypen imaginärer zeitreisender Menschen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts versetzen die Verfasser sozialer Utopien ihre Protagonisten und fiktiven Staatsentwürfe nicht mehr in räumlich entfernte Länder, sondern in die zeitliche Ferne. So versetzt zum Beispiel Edward Bellamy in seiner sozialen Utopie Looking Backward den Helden des Jahres 1888 in die Zukunft des Jahres 2000. Bedingt durch Schlafstörungen nimmt der Zeitreisende die Hilfe eines Hypnotiseurs in Anspruch und wacht unvorhergesehen erst im Jahre 2000 wieder auf. Unsere aktuelle Welt im Spiegel einer fiktiven Zukunft zu betrachten, ist eine interessante Variante, um Sozialkritik in einem Roman zu verpacken.

Viele moderne Science-Fiction-Geschichten ranken sich um die Konflikte, die entstehen, wenn eine anachronistische Psyche der Vergangenheit mit einer extrem weiter entwickelten Technikkultur und den auch sozial veränderten Bedingungen einer Superzivilisation der Zukunft in Berührung kommt. Eine der erfolgreichen frühen Zeitreisegeschichten der neueren Zeit wurde 1889 von Mark Twain verfasst. In seiner Erzählung Connecticut Yankee at the Court of King Arthur wird ein Ingenieur aus der industriellen Welt des 19. Jahrhunderts in die feudale Kultur des frühen Mittelalters am Hofe König Arturs versetzt. Von seinen fortschrittlichen Idealen geprägt, versucht der amerikanische Held die Ritterwelt zu modernisieren. Nach anfänglichen Erfolgen misslingt jedoch der Versuch einer Missionierung der Ritterzeit mit neuzeitlichen Idealen und modernem Know How vollständig. Diese Satire auf die amerikanische Lebenskultur lebt von der Spannung, die sich aus der direkten Konfrontation zweier verschiedener, von unterschiedlichen Zeitepochen geprägten Lebensweisen ergibt. Eben so gut hätte man den amerikanischen Helden des Fortschritts in das unerschlossene Afrika seiner Zeit schicken können. In dieser Geschichte deutet sich spielerisch an, welche potentiell tiefgreifenden Konflikte entstehen können, wenn Kräfte der Zukunft bei Ereignissen der Vergangenheit intervenieren. Mark Twain legte keinen Wert auf einen technischen Hinweis, wie die Zeitreise tatsächlich durchgeführt wurde. Sie erscheint in seiner Erzählung als ein magisches Ereignis und wird nicht weiter erklärt.

Anders verhält es sich in der 1895 erschienenen Novelle von H.G.Wells Die Zeitmaschine . Hier wird zum ersten Mal eine technische Einrichtung beschrieben, mit der man die vierte Dimension, die Zeit, kontrollieren kann. Mit einer nicht ganz überzeugenden Logik lässt Wells seinen Erfinder demonstrieren, dass die Zeitmaschine in keinem Widerspruch zu bestehenden Naturgesetzen steht. Er ist der erste Autor, der versucht, das unerklärte Wunder einer magischen Zeitreise in die Sprache der modernen Wissenschaftler zu übersetzen.

Die Wellsche Zeitmaschine benutzt ein allgemein verständliches Modell der Zeit; das anschauliche Bild von der Zeit als einen fließenden Strom . Auf diesem Strom kann sich der Zeitreisende frei bewegen, gegen die Strömung flussaufwärts oder mit der Strömung flussabwärts. Die zeitliche Bewegungsfreiheit erlaubt es ihm auch, sein Zeitvehikel gegen den konstanten Fluss der Zeit zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Keine seiner Aktionen ändert jedoch den Fluss der Zeit, sondern er ist es, der sich zu den Uferlandschaften vergangener oder zukünftiger Zeiten hinbewegt.

Seit H.G.Wells sind unzählige Zeitmaschinen in der Science-Fiction-Literatur erfunden und beschrieben worden. Die Zeitreisegeschichten beschreiben meist Reisen in die entfernte Zukunft oder in die prähistorische Vergangenheit. Diese Gegenden der Zeitlandschaft sind historisch nicht so sehr belegt und erlauben die Erfindung äußerst unwahrscheinlicher und phantastischer Szenarien.

Ein weiterer Höhepunkt der Zeitreisethematik findet 1955 seinen literarischen Niederschlag in dem klassischen Roman The End of Eternity von Isaac Asimov. Der Autor beschreibt eine geheime Zeitorganisation, die alle historischen Epochen der Menschen kontrolliert. Die sogenannten Ewigen reisen in Zeitfahrstühlen zwischen dem 27. Jahrhundert und dem 70. Jahrtausend nach Belieben hin und her. Von ihren Stationen aus, von denen es in jedem Jahrhundert nur eine gibt, manipulieren sie die Geschichte. Ständig planen sie neue Eingriffe, um eine bisher bestehende historische Realität durch eine bessere Variante zu ersetzen. Sinn und Zweck dieser Operationen ist es, optimale historische Bedingungen für eine maximale Anzahl von Menschen zu schaffen. Leider sind mit den neu entwickelten Varianten auch neue Fehlentwicklungen verbunden. Die Korrektur der Geschichte durch die Ewigen ergibt das Bild einer Arbeit ohne Ende, da die geschaffenen sekundären Wirklichkeiten neue Korrektureingriffe erfordern. Die Folge der Realitätsveränderungen scheint keinen Grenzwert zu besitzen. In dieser für die Ewigen unerreichbare Zeitperiode nach dem 70. Jahrtausend existiert eine geheimnisvolle, fortgeschrittene Zivilisation, deren Bewohner feststellen, dass ihre Existenz auf der verfehlten Korrekturidee der Ewigen beruht. Sie verhindern schließlich rückwirkend den Aufbau der Organisation der Zeitingenieure, so dass die Ewigen die Realitäten nicht mehr neu erschaffen können. Damit opfern die Menschen jenseits des 70. Jahrtausends ihre eigene Existenz und Realität, befreien aber die Menschheit von den einengenden Harmoniebestrebungen der Ewigen. Die Zeitdiktatur der Ewigen wird schließlich zerstört; der Weg wird frei für eine ursprüngliche Realität, die die Menschen schließlich in die weiten Sternenräume führt.

Die Idee, dass sich die Reise in die Vergangenheit zur Änderung der Geschichte benutzen lässt, hat in der Folge viele Science-Fiction-Autoren zu teilweise verwirrenden, aber auch interessanten Beschreibungen von Alternativwelten geführt. Was wäre, wenn die Südstaaten den amerikanischen Bürgerkrieg gewonnen hätten, ist eine Geschichtsfälschung, die Ward Moore in seinem Roman Bring the Jubilee verarbeitet hat. Ein zeitreisender Militärhistoriker verwirrt die Truppen des General Lee auf dem Schlachtfeld von Gettysburg so sehr, dass die für die Unionstruppen scheinbar gewonnene Schlacht schließlich verloren geht. Mit der Niederlage bei Gettysburg ist für die Nordstaaten auch der Krieg verloren.

Das Science-Fiction Genre kennt heute eine Vielzahl von Romanen, die beschreiben, wie eine funktionierende Zeitmaschine als machtpolitisches Mittel missbraucht werden kann. Für die Machthaber eines Systems ist es von Vorteil, Ereignisse der Vergangenheit auch rückwirkend kontrollieren zu können. Ereignisse, deren Auswirkungen sich als ungünstig für die Aufrechterhaltung ihrer Machtansprüche herausgestellt haben, lassen sich mit der überlegenen Technologie der Zukunft verändern oder sogar auslöschen. Carl Amery beschreibt in einem seinem Roman Das Königsprojekt, wie der Vatikan eine Zeitmaschine entwickelt, um die Spaltung der katholischen Kirche im 15. Jahrhundert zu verhindern. Die Geschichte einer Welt, in der die Reformation nicht stattgefunden hat, wird daher neu geschrieben. Die unter veränderten Voraussetzungen entstandene Alternativwelt besitzt eine Geschichte, in der Martin Luther als bedeutungsvolle historische Gestalt unbekannt ist.

Es ist reizvoll sich auszumalen, ob im 20. Jahrhundert dieser Parallelwelt auch ein Schriftsteller existiert, der über alternative Geschichte nachdenkt. Der könnte dann einen fiktiven Roman darüber schreiben, wie man sich eine Welt vorzustellen hat, in der die katholische Kirche und der Papst nicht allmächtig sind.

Wenn man die logischen Folgerungen einer Zeitreise zu Ende denkt, gelangt man schließlich zu einer verwirrenden Variante des Themas, der geschlossenen Zeitschleife. Als typisches Beispiel für die logisch verzwickte Folge von Ereignissen, die bei Zeitreisen mit der Selbstbegegnung verbunden sind, dient die Geschichte By His Bootstraps von Robert Heinlein. Ein junger Wissenschaftler, Bob Wilson, sitzt an seinem Schreibtisch, um einen Artikel über die logische Unmöglichkeit von Zeitreisen zu skizzieren. Plötzlich wird er von einem Besucher aus der Zukunft kontaktiert, der ihn schließlich in einem Handgemenge durch eine Zeittür in die Zukunft wirft. Wilson nimmt in diesem kurzen Kampf noch die Beteiligung einer dritten Person wahr, kann sie aber nicht identifizieren. In der fernen Zukunftswelt trifft er auf einfache Menschen, die einem Herrscher unterworfen sind, der sich Diktor nennt. Bei einem Treffen mit Diktor erklärt ihm dieser den Verlauf der menschlichen Geschichte, der zu dieser Zukunftswelt geführt hat. Außerirdische haben die Menschen versklavt und die Zeitmaschine entwickelt. Nachdem sie sich aus unbekannten Gründen zurückgezogen hatten, ließen sie die Menschen unmündig und ohne Willen zur Weiterentwicklung auf der Erde zurück. Es fällt Wilson nicht schwer, die Menschen der Zukunft mit seiner natürlichen Aggressivität zu beeinflussen. Der geheimnisvolle Herrscher Diktor tritt in der Folge nur wenig direkt in Erscheinung. Bei einem seltenen Treffen mit Wilson verspricht er, die Macht mit ihm zu teilen, falls er bereit ist einen Mann aus der Vergangenheit zu holen. Diktor zeigt Wilson wie er zu diesem Zweck eine Zeitmaschine nutzen kann. Wilson tritt schließlich durch das Zeittor in die Vergangenheit und erkennt sein jüngeres Selbst, das am Schreibtisch sitzt. Das folgende Handgemenge wird nun von dem älteren Ich beschrieben, der sein jüngeres Ich mit Gewalt in die Zukunft holen will, was auch gelingt. Er kehrt später nochmals zum Zeitpunkt der Konfrontation seiner beiden Alter Egos zurück. Nun existiert eine dritte Version des Handgemenges zwischen den Doppelgängern. Wieder in der Zukunft versucht Wilson den Herrscher Diktor zu überlisten. Er reist einige Jahre zurück, um der Herrschaft von Diktor zuvorzukommen. Die Bewohner der Zukunftswelt akzeptieren ihn und dienen ihm ohne großen Widerstand. Nach einigen Jahren erlaubt er auch, dass ihn die Menschen Diktor nennen. Auf seinen angeblichen Konkurrenten um die Herrschaft der Zukunftswelt wartet er jahrelang vergeblich. Bis eines Tages ein junger Mann aus dem Zeittor herausfällt. Dem älteren Wilson wird klar, dass es nie einen anderen Diktor als ihn selbst gegeben hat. Die Geschichte, die er erlebt hat, wiederholt sich, nur befindet er sich diesmal in der Rolle des Beobachters. Alle drei Hauptpersonen, die in Wirklichkeit nur eine Person darstellen, sind in einer zirkulären Ereignisfolge gefangen. Die interessante Frage ist, ob Wilson/Diktor an irgend einer Stelle den Kreislauf hätte durchbrechen können, in dem er das Wissen um die Zukunft benutzt, die Handlungsfolge so abzuändern, dass die Ereignisse anders ablaufen müssen. In der Geschichte erkennt Diktor, dass es unklug wäre, sein jüngeres Ich einzuweihen. Denn mit einer Änderung der Vergangenheit würde er unter Umständen auch seinen so erfolgreich beschrittenen Lebensweg verhindern. Daher tut er alles, um den Kreislauf zu sichern.

Moderne Science-Fiction-Autoren nutzen für das Thema der Zeitreise die ganze Bandbreite der extremen Objekte der Physik und der neueren Astrophysik. Sie verwenden Wurmlöcher, Neutronensterne, Pulsare, Schwarze Löcher oder Gravitationswirbel, um die Zeitreise in Gang zu setzen. Die Science-Fiction-Helden studieren und erproben die wissenschaftliche Lehre von den Zeitreisen, die Chrononautik; sie begeben sich mit den faszinierten Lesern auf chrononautische Expeditionen in bekannte und vergangene Epochen der irdischen und kosmischen Geschichte. Die mutigen Chrononauten reisen in Nullzeit an das Ende der Zeit, in die prähistorische Vergangenheit oder in Parallelwelten. In der literarischen Phantasie kontrollieren ungeheure Raumzeitmaschinen die kosmischen Kräfte und sorgen für die Passierbarkeit von Dimensionstoren und von Zeittunneln im menschlichen Maßstab. Unser bekanntes Universum wird literarisch durch Transdimensionen, Parallelwelten, Hyper- und Antiräume ergänzt. Die imaginären Zusatzhypothesen erlauben den Science-Fiction-Autoren, Zeitreisen über vielfältige dimensionale Portale eines unermesslichen Multiversums stattfinden zu lassen.

In jedem Fall gehören die Zeitreisegeschichten zu dem Besten, was Science-Fiction heute an Unterhaltung, reizvollem Abenteuer, überschäumender Phantasie und verwirrender Faszination zu bieten hat. Indem die Geschichten von der Zeitmaschine die Kontrollierbarkeit der Zeit behaupten, beruhigen sie auch tiefer liegende Ängste, die in uns entstehen, wenn wir über das manchmal bedrohliche und unerklärliche Mysterium der Zeit nachdenken. Vielleicht stört uns einfach nur die Vorstellung, dass die Vergangenheit Wirkungen auf uns ausübt, ohne Einwirkungen zu erleiden. Was wäre, wenn wir die Vergangenheit ungeschehen machen könnten, um eine neue und bessere Gegenwart und Zukunft einzuleiten?

Alle Zeitreisegeschichten kreisen mehr oder weniger um das zentrale Problem, das mit jeder Zeitschleife verbunden ist. Kann man aufgrund der Kenntnis der Zukunft in der Vergangenheit etwas verändern, so dass die Zukunft nicht eintritt, die man beobachtet hat. Für die Autoren bieten sich unzählige Möglichkeiten, die Verwirrung zu steigern und logische Kurzschlüsse zu produzieren. Daher können viele Zeitreisegeschichten oft mit Recht von den exakten Wissenschaftlern als kompletter Unsinn abgetan werden. Es türmen sich mit den unvermeidbaren Zeitparadoxien logische Schwierigkeiten auf, die auch von den besten Science-Fiction-Autoren nicht zu meistern sind.

Robert Silverberg schreibt in seinem Vorwort zu einer Anthologie von Zeitreisegeschichten, dass die einzige funktionierende Zeitmaschine, die jemals erfunden werden kann, die Science-Fiction-Story selbst ist. Diese Aussage beweist aber nur, dass einige Science-Fiction-Autoren zu wenig Phantasie besitzen. Es gibt Stimmen, die behaupten, dass das, was die Physiker heute an der Front ihrer Wissenschaft tatsächlich erforschen, dem interessierten Laien noch viel unglaublicher erscheinen muss als die erfundenen Geschichten der Science-Fiction-Autoren.

Wenn es um die Entwicklung neuer Ideen und Theorien zum Thema Zeit geht, haben die Physiker vielen Science-Fiction-Autoren schon längst den Rang abgelaufen. Bei der Erfindung von anschaulichen Hauptfiguren, die ihre Theorien begleiten, zeigen die Physiker durchaus literarische Qualitäten. Da gibt es Quarks , die Wahrheit, Farbe und Charme haben, Quantenschaum der Henkel hat und Wurmlöcher, die den Raum exotisch durchtunneln. Der Dämon von Laplace, Wigners Freund und Schrödingers Katze lösen in der Regel heftige Fachdiskussionen aus. Dies alles sagt dem Laien nur wenig, doch für den Physiker repräsentieren diese Ausdrücke tiefsinnige Problemstellungen der modernen Physik. Und seit einigen Jahren reden die Physiker sogar von und über Zeitmaschinen.





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