Die Träume über die freie Beweglichkeit des Menschen in der Zeit sind so alt wie die
      Menschheit; Zeitreisen der mentalen Art hat es immer schon gegeben. Es gibt eine Vielzahl
      von gut dokumentierten Zeitreise-Erfahrungen, die sich  nur in der  Psyche des Menschen
      ereignet haben. Im Schlaf, unter der Wirkung von psychoaktiven Substanzen, bei Hypnose,
      durch Meditation und  in Trance tauchen oft Wahrnehmungen und Bilder auf, die aus einer
      entfernten Zeit stammen. In diesen veränderten Bewusstseinszuständen können Ereignisse
      kontaktiert werden, die nicht in der Gegenwart zu finden sind.
      
  
       So wird berichtet, dass die Priesterin des antiken Heiligtums von Delphi, Phytia, in Trance
       verfallen konnte, indem sie heilige Dämpfen aus einer Erdspalte des Tempels einatmete.
       Dadurch wurde sie mental in die Lage versetzt, zukünftige Realitäten in inneren Visionen zu kontaktieren.
       Dem Ratsuchenden konnte sie dann mit einem Orakelspruch Hinweise auf seine Zukunft geben.
       Die Überlieferung sagt allerdings , dass ihre Orakelsprüche so rätselhaft und vieldeutig
       angelegt waren, dass sich daraus mehrere Interpretationsmöglichkeiten für die Zukunft des
       Fragenden ableiten ließen.
      
  
      In vielen alten Sagen und Mythen wird auch erzählt, wie der Mensch mit Hilfe jenseitiger
      Mächte, die Schranken der Zeit überwinden kann. Den überirdischen und jenseitigen Wesen
      wurde die Fähigkeit zugeschrieben, in die Zukunft schauen zu können. Und manchmal gewährten
      sie dem irdischen Wesen die Gnade, einen flüchtigen Blick auf die Zukunft zu erhaschen.
      Insbesondere aus den indischen Göttermythen sind viele schöne Erzählungen bekannt, in denen
      die  Götter den sterblichen Wesen Zugang zu anderen Räumen und Zeiten verschaffen.
      
  
      So steht  der Held Arjuna am Vorabend einer entscheidenden Schlacht  zwischen   zwei
      herrschenden Eliten seines Landes. Arjuna zweifelt an dem Sinn des  Kampfes  gegen sein
      eigenes Volk. Kurz vor Beginn der  Schlacht beginnt ein  tiefsinniges  Gespräch zwischen
      dem Gott Krischna und Arjuna selbst. Krischna  überzeugt den Krieger Arjuna  von der
      Notwendigkeit des Kampfes. Er weist nach, dass der  Feind schon  geschlagen ist.
      "Der Feind, o Arjuna , ist schon erschlagen. Ich bitte Dich die notwendige Verbindung herzustellen."
      In einer Vision zeigt er Arjuna Bilder der Zukunft. In diesen Bildern erblickt Arjuna den zukünftigen Tod seiner Feinde.
      Der Blick auf die Zukunft zeigt Arjuna, was er zu tun hat und wie er seinem Schicksal folgen kann.
      
  
      Die alten Sagen berichten aber auch  von körperlichen Zeitreisen in der äußeren Welt; die
      durch Zauberkraft  und Verwünschungen   bewirkten Versetzungen in Raum und Zeit.
      Alte Geschichten  erzählen, dass sich z.B. der Zauberer Merlin mit Hilfe
      geheimnisvoller Kräfte an jeden Ort und in jede Zeit versetzen konnte.
      
  
      Die menschliche Fähigkeit  zur  Zeitreise  und  damit zur Transzendenz der irdischen
      Welt wurde immer  wieder behauptet und in anregenden Erzählungen wiedergeben.  Die Existenz
      jenseitiger Reiche, die irgendwie parallel zu unserer 3-D-Welt  liegen, galt in der
      vorwissenschaftliche Zeit als unbestritten. Dort sollten die merkwürdige Wesen leben,
      die in der Lage waren, das irdische Zeitmaß zu  manipulieren. Den extradimensionalen
      Wesen stand es auch frei, sich selbst in  unserer normalen Welt und Zeit nach Belieben
      zu manifestieren. Manchmal, in ungewöhnlichen  Situationen,  berührten sich  die Zeiten
      der beiden Welten; und für einen kurzen  Augenblick  wird dem  Menschen die  Gnade zuteil,
      einen Blick auf die andere Seite zu werfen - und die  Zeit gerät aus den Fugen.
           
  
      Es gibt  wundersame  Berichte von Begegnungen der Menschen mit Feen und Hexen, Riesen und
      Zwergen, Elfen und  Trollen,  Engeln und  Dämonen. Viele alte Geschichten ranken sich um
      harmlose Wanderer, die sich in einem Hexenkreis des Waldes oder in einer wundersamen Höhle
      verlieren, verlockt durch eine überirdische Musik. Dort in der Parallelwelt erleben sie
      wenige Stunden eines seltsamen Rausches im Tanz mit Elfen und Naturgeistern. Gelingt
      ihnen schließlich die Rückkehr, so stellen sie fest, dass in der realen Welt Monat
      vergangen sind. So oder in ähnlicher Form finden sich im alten Sagenschatz fast aller
      Völker und Kulturen merkwürdige Einsichten in die Existenz jenseitiger Zeiten und Räume.
      Als effektive "Zeitmaschinen" funktionieren im Märchen zauberkräftige Gegenstände wie Ringe,
      Amulette und Stäbe; das Drehen eines Zauberrings transportiert fast alle Märchenprinzen durch
      Raum und Zeit.
        
  
      Wer kennt  nicht das Märchen, in dem eine gute Fee drei Wünsche gewährt. Es gibt viele
      Varianten dieses Märchens, doch die Geschichte endet immer gleich. Der Held muss den
      dritten Wunsch verwenden, um die unliebsamen Folgen der ersten beiden Wünsche in der
      Zeit ungeschehen zu machen. Er kehrt so in die eigene Vergangenheit zurück, um der
      alternativen Zukunft zu entgehen, die ihm drei  Wünsche bringen sollte
        
  
      Der riesigen Schatz an überlieferten Mythen, Vorstellungen,  und Geschichten über imaginäre
      und jenseitige Welten aus allen Kulturkreisen  verleitet zu der Vermutung, dass parallel zu
      unserer Welt  andere Dimensionsbereiche existieren, die irgendwie mit unserer 3-D-Welt
      verknüpft sind und aus denen Wirkungen in  unsere Welt  hinübergehen können. Die Beschreibungen
      und Berichte über dies jenseitigen Welten sind mehr oder weniger gut dokumentiert: der
      göttliche Olymp, das nordische Walhalla, die eleusischen Felder, das biblische Paradies,
      die Gärten der Hesperiden, der  Hades, das Bardo der Tibeter, die ewigen Jagdgründe,
      das ferne Land Shambala, der Berg Meru und die glückselige  Insel Avalon. Unzählige und
      wundersame Legenden ranken sich um diese  Jenseitsreiche und deren Bewohner: Götter,
      Engel und Dämonen. Und immer wieder wird hervorgehoben, dass die Zeit dort eine andere
      Qualität  besitzt. Leider sind diese interessanten Beschreibungen und Modelle extradimensionaler
      und überzeitlicher Welten nicht Gegenstand der modernen Naturforschung. Die moderne Wissenschaft
      neigt zu der Ansicht, dass  es zur Zeit keine brauchbaren Hinweise auf  die Existenz jenseitiger
      Dimensionen und Wesen gibt. Diesen uralten Erzählungen und  überlieferten visionären Erlebnisse
      können in unserer modernen und aufgeklärten Zeit nur Gegenstand  kulturhistorischer, philologischer
      und literaturwissenschaftlicher  Studien sein.
         
  
      In jedem Fall  liefern diese alten Quellen reichhaltiges und anregendes Material  zum Thema
      der verdrehten Zeit oder  der Zeitreise. Im Märchen von Dornröschen hat ein böser Zauber die
      Zeit auf dem Schloss angehalten.  Dornröschen und ihr ganzer Hofstaat sind in einem
      hundertjährigen Schlaf versunken, um schließlich von einem jungen Prinzen erlöst zu werden.
      In dem Moment, in dem sich der Fluch auflöst, erreicht den Küchenjungen noch die Ohrfeige,
      zu der ein Koch hundert Jahre zuvor ausgeholt hatte. Das Motiv vom langen Schlaf, der den
      Lauf der Zeit vergessen macht, findet sich noch in vielen anderen Märchen und Sagen. So
      auch in der Erzählung vom Mönch von Heisterbach. Dieser Mönch geht eines Tages in den
      blühenden Klostergarten, um in stiller Andacht zu beten. Dabei versinkt er in ein kurzes
      Schläfchen. Nachdem er erwacht, findet er das Kloster in Ruinen und die Umgebung des
      Klostergartens seltsam verändert. Nach und nach erkennt er, dass die Zeit, während er nur
      kurz eingenickt war,  viele Jahrhunderte übersprungen hat. Seine Zeit ist nicht mehr und
      er befindet sich in einer anderen Zeit, die sehr viel später liegt. Er erfährt von den
      Menschen seiner neuen Gegenwart, dass die Mönche seines Klosters schon lange  aus der
      Gegend weggezogen sind. Und er erinnert sich mit Schrecken an die Bibelworte, dass
      tausend Jahre für den Herrn nur ein Augenschlag seiner Wimpern bedeuten.
      
  
      Die Verdrängung der Zeit durch den Schlaf, den kleinen Bruder des Todes, spielt auch in der
      Sage vom Kaiser Barbarossa eine entscheidende Rolle. Es wird erzählt, dass der Kaiser
      Friedrich Barbarossa im Inneren des Kyffhäuserberges auf den Anbruch einer neuen Zeit
      wartet. Alle hundert Jahre erscheint vor ihm ein Zwerg, den er fragt, ob noch Raben um
      den Berg kreisen. Beantwortet der Zwerg die Frage positiv, so muss Barbarossa noch weitere
      hundert Jahre warten. Im Volksglaube ist mit seiner Wiederkehr ein Zeitalter in Frieden und
      Einigkeit verbunden. Die Sage drückt die Überzeugung der einfachen Leute aus, dass die
      zerstörerische Kraft ihrer eigenen Zeit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht
      besiegen kann; und eines Tages wird Kaiser Barbarossa wiederkehren und sie in eine
      bessere Welt führen.  Die modernen Interpreten der Kyffhäusersage sehen in ihr ein
      Symbol, in dem die alte Kaiserherrlichkeit verklärt wird. Für unsere aufgeklärtes
      Verständnis ist eine Wiederauferstehung des Kaisers nicht möglich.
      
  
      Zeitreisende
      Kaiser können nur Thema fiktiver Erzählungen sein. Für den unwahrscheinlichen und nur
      hypothetischen Fall, dass Kaiser Barbarossa heute ans Ende seiner Zeitreise gelangen
      würde, hätte er große Schwierigkeiten, seine mittelalterliche Psyche an die  Kultur
      unserer modernen Zeit anzupassen.
        
  
      Das Motiv durch einen magischen Zauberschlafes die Zeit zu überwinden, wird in den Märchen und
      Sagen in der Regel für die Reise in die Zukunft verwendet; die körperliche Reise in die
      Vergangenheit kommt in Märchen kaum vor. Die alten Erzählungen berichten auch von
      nicht-körperlichen, nur mentalen Kontakten mit den verschiedenen Zeiten. Für Götter
      und Menschen gleichermaßen gibt es Bewusstseinszustände, in denen sie Visionen
      zukünftiger und vergangener Welten erfahren können. Der Zugang zu  allen Zeiten,
      sowohl zu den zukünftigen als auch den vergangenen Ereignissen, ist in den alten
      Mythologien nur einzelnen Göttern oder berufenen Menschen, den Sehern und Propheten,
      vorbehalten.
         
  
      Bei den alten Germanen  besaßen die drei Nornen den beherrschenden Zugriff auf die Zeit.
      Sie repräsentieren die personifizierten Mächte des zeitumgreifenden Schicksals. Am Fuße
      der Weltesche weben die drei Frauen die Lebensfäden der Menschen und Götter. Urd, Werdandi
      und Skuld kennen die Zukunft und die Vergangenheit, sie besitzen den geheimen Schlüssel
      zu allen Zeiten. Dort wo alle Lebensfäden und Schicksale zusammenlaufen hat die Zeit
      ihre Macht verloren. Die Nornen sind nicht urzeitliche Mächte, die schon vor der
      Weltschöpfung existierten, sondern sie sind aus dem Göttergeschlecht hervorgekommen
      und begleiten die aktuelle Weltperiode, die schließlich in einer Art Götterdämmerung
      vergehen wird. Ihre Jugend verbrachten sie bei den Riesen, den Widersachern der Götter
      im kosmischen Endkampf, der Weltendämmerung. Sie sehen in ihren Visionen den Morgen einer
      neuen Welt heraufkommen. Der Lichtgott Baldur wird den Götterkampf durch Wiederauferstehung
      überleben und in einen neuen Anfang hinüberwechseln. Gegen den Schicksalsspruch der Nornen
      haben selbst die Götter keine Möglichkeit der Intervention. Wohl gibt es Möglichkeiten,
      die Geschichte der Zukunft oder der Vergangenheit in Ausnahmefällen zu erfahren, aber
      niemals eine echte Chance, die Lebensfäden zu verändern, um es anders zu machen, als
      die Nornen es gesehen haben.
         
  
      In der literarischen Phantasie entwickelten sich die überlieferten Motive der Zeitüberwindung
      ungestört weiter und schufen neue Prototypen imaginärer zeitreisender Menschen. Gegen Ende
      des 19. Jahrhunderts versetzen die Verfasser sozialer Utopien ihre Protagonisten und fiktiven
      Staatsentwürfe nicht mehr in räumlich entfernte Länder, sondern in die zeitliche Ferne. So
      versetzt zum Beispiel Edward Bellamy in seiner sozialen Utopie Looking Backward  den Helden
      des Jahres 1888 in die Zukunft des Jahres 2000. Bedingt durch Schlafstörungen nimmt der
      Zeitreisende die Hilfe eines Hypnotiseurs in Anspruch und wacht unvorhergesehen erst im
      Jahre 2000 wieder auf. Unsere aktuelle Welt im Spiegel einer fiktiven Zukunft zu betrachten,
      ist eine interessante Variante, um Sozialkritik in einem Roman zu verpacken.
      
  
      Viele moderne Science-Fiction-Geschichten ranken sich um die Konflikte, die entstehen, wenn
      eine anachronistische Psyche der Vergangenheit mit einer extrem weiter entwickelten
      Technikkultur und den auch sozial veränderten Bedingungen einer Superzivilisation der
      Zukunft in Berührung kommt. Eine der erfolgreichen frühen Zeitreisegeschichten der neueren
      Zeit wurde 1889 von Mark Twain verfasst. In seiner Erzählung  Connecticut Yankee at the
      Court of King Arthur wird ein Ingenieur aus der industriellen Welt des 19. Jahrhunderts in
      die feudale Kultur des frühen Mittelalters am Hofe König Arturs versetzt. Von seinen
      fortschrittlichen Idealen geprägt, versucht der amerikanische Held die Ritterwelt zu
      modernisieren. Nach anfänglichen Erfolgen misslingt jedoch der Versuch einer Missionierung
      der Ritterzeit mit neuzeitlichen Idealen und modernem Know How vollständig. Diese Satire
      auf die amerikanische Lebenskultur lebt von der Spannung, die sich aus der direkten
      Konfrontation zweier verschiedener, von unterschiedlichen Zeitepochen geprägten
      Lebensweisen ergibt. Eben so gut hätte man den amerikanischen Helden des Fortschritts
      in das unerschlossene Afrika seiner Zeit schicken können. In dieser Geschichte deutet
      sich spielerisch an, welche potentiell tiefgreifenden Konflikte entstehen können, wenn
      Kräfte der Zukunft bei Ereignissen der Vergangenheit intervenieren. Mark Twain legte
      keinen Wert auf einen technischen Hinweis, wie die Zeitreise tatsächlich durchgeführt wurde.
      Sie erscheint in seiner Erzählung als ein magisches Ereignis und wird nicht weiter erklärt.
      
  
      Anders verhält es sich in der 1895 erschienenen Novelle von H.G.Wells  Die Zeitmaschine .
      Hier wird zum ersten Mal eine technische Einrichtung beschrieben, mit der man die vierte
      Dimension, die Zeit,  kontrollieren kann. Mit einer nicht ganz überzeugenden Logik lässt
      Wells seinen Erfinder demonstrieren, dass die Zeitmaschine in keinem Widerspruch zu
      bestehenden Naturgesetzen steht. Er ist der erste Autor, der versucht, das unerklärte
      Wunder einer magischen Zeitreise in die Sprache der modernen Wissenschaftler zu übersetzen.
      
  
      Die Wellsche Zeitmaschine benutzt ein allgemein verständliches Modell der Zeit;
      das anschauliche Bild von der Zeit als einen fließenden Strom . Auf diesem Strom kann sich
      der Zeitreisende frei bewegen, gegen die Strömung flussaufwärts oder mit der Strömung
      flussabwärts. Die zeitliche Bewegungsfreiheit erlaubt es ihm auch, sein Zeitvehikel
      gegen den konstanten Fluss der Zeit zu beschleunigen oder zu verlangsamen.
      Keine seiner Aktionen ändert jedoch den Fluss der Zeit, sondern er ist es,
      der sich zu den Uferlandschaften vergangener oder zukünftiger Zeiten hinbewegt.
       
  
      Seit H.G.Wells sind unzählige Zeitmaschinen in der Science-Fiction-Literatur erfunden und
      beschrieben worden. Die Zeitreisegeschichten beschreiben meist Reisen in die entfernte
      Zukunft oder in die prähistorische Vergangenheit. Diese Gegenden der Zeitlandschaft sind
      historisch nicht so sehr belegt und erlauben die Erfindung äußerst unwahrscheinlicher und
      phantastischer Szenarien.
      
  
      Ein weiterer Höhepunkt der Zeitreisethematik findet 1955 seinen literarischen Niederschlag in
      dem klassischen Roman The End of Eternity von Isaac Asimov. Der Autor beschreibt eine
      geheime Zeitorganisation, die alle historischen Epochen der Menschen kontrolliert.
      Die sogenannten Ewigen reisen in Zeitfahrstühlen zwischen dem 27. Jahrhundert und dem
      70. Jahrtausend nach Belieben hin und her. Von ihren Stationen aus, von denen es in
      jedem Jahrhundert nur eine gibt, manipulieren sie die Geschichte. Ständig planen sie
      neue Eingriffe, um eine bisher bestehende historische Realität durch eine bessere
      Variante zu ersetzen. Sinn und Zweck dieser Operationen ist es, optimale historische
      Bedingungen für eine maximale Anzahl von Menschen zu schaffen. Leider sind mit den neu
      entwickelten Varianten auch neue Fehlentwicklungen verbunden. Die Korrektur der Geschichte
      durch die Ewigen ergibt das Bild einer Arbeit ohne Ende, da die geschaffenen sekundären
      Wirklichkeiten neue Korrektureingriffe  erfordern. Die Folge der Realitätsveränderungen
      scheint keinen Grenzwert zu besitzen. In dieser für die Ewigen unerreichbare Zeitperiode
      nach dem 70. Jahrtausend existiert eine geheimnisvolle, fortgeschrittene Zivilisation,
      deren Bewohner feststellen, dass ihre Existenz auf der verfehlten Korrekturidee der
      Ewigen beruht. Sie verhindern schließlich rückwirkend den Aufbau der Organisation der
      Zeitingenieure, so dass die Ewigen die Realitäten nicht mehr neu erschaffen können.
      Damit opfern die Menschen jenseits des 70. Jahrtausends ihre eigene Existenz und Realität,
      befreien aber die Menschheit von den einengenden Harmoniebestrebungen der Ewigen.
      Die Zeitdiktatur der Ewigen wird schließlich zerstört; der Weg wird  frei für eine
      ursprüngliche Realität, die die Menschen schließlich in die weiten Sternenräume führt.
      
  
      Die Idee, dass sich die Reise in die Vergangenheit zur Änderung der Geschichte benutzen lässt,
      hat in der Folge viele Science-Fiction-Autoren zu teilweise verwirrenden, aber auch
      interessanten Beschreibungen von Alternativwelten geführt. Was wäre, wenn die Südstaaten
      den amerikanischen Bürgerkrieg gewonnen hätten, ist eine Geschichtsfälschung, die
      Ward Moore in seinem Roman  Bring the Jubilee  verarbeitet hat. Ein zeitreisender
      Militärhistoriker verwirrt die Truppen des  General Lee auf dem Schlachtfeld von Gettysburg
      so sehr, dass die für die Unionstruppen scheinbar gewonnene Schlacht  schließlich verloren geht.
      Mit der Niederlage bei Gettysburg ist für die Nordstaaten  auch der Krieg verloren.
          
  
      Das Science-Fiction Genre kennt heute eine Vielzahl von Romanen, die beschreiben, wie  eine
      funktionierende  Zeitmaschine als machtpolitisches Mittel missbraucht werden kann. Für die
      Machthaber eines Systems ist es von  Vorteil, Ereignisse der Vergangenheit auch rückwirkend
      kontrollieren zu können. Ereignisse, deren Auswirkungen sich als ungünstig für die
      Aufrechterhaltung ihrer Machtansprüche herausgestellt haben, lassen sich mit der überlegenen
      Technologie der Zukunft  verändern oder sogar auslöschen. Carl Amery beschreibt in einem
      seinem Roman Das Königsprojekt, wie der Vatikan eine Zeitmaschine entwickelt, um die
      Spaltung der katholischen Kirche im 15. Jahrhundert zu verhindern. Die Geschichte einer
      Welt, in der die Reformation nicht stattgefunden hat, wird daher neu geschrieben.
      Die unter veränderten Voraussetzungen entstandene Alternativwelt besitzt eine Geschichte,
      in der  Martin Luther als bedeutungsvolle historische Gestalt unbekannt ist.
       
  
      Es ist reizvoll sich auszumalen, ob im 20. Jahrhundert  dieser  Parallelwelt auch ein
      Schriftsteller existiert, der über alternative Geschichte nachdenkt.  Der könnte dann
      einen fiktiven Roman darüber schreiben, wie man sich eine Welt vorzustellen hat, in der
      die katholische Kirche und der Papst  nicht allmächtig sind.
         
  
      Wenn man die logischen Folgerungen einer Zeitreise zu Ende denkt, gelangt man schließlich zu
      einer verwirrenden Variante des Themas, der geschlossenen Zeitschleife. Als typisches Beispiel
      für die logisch verzwickte Folge von Ereignissen, die bei Zeitreisen mit der Selbstbegegnung
      verbunden sind, dient die Geschichte By His Bootstraps  von Robert Heinlein.
      Ein junger Wissenschaftler, Bob Wilson, sitzt an seinem Schreibtisch, um einen Artikel über
      die logische Unmöglichkeit von Zeitreisen zu skizzieren. Plötzlich wird er von einem Besucher
      aus der Zukunft kontaktiert, der ihn schließlich in einem Handgemenge durch eine Zeittür in
      die Zukunft wirft. Wilson nimmt in diesem kurzen Kampf noch die Beteiligung einer dritten
      Person wahr, kann sie aber nicht identifizieren. In der fernen Zukunftswelt trifft er auf
      einfache Menschen, die einem Herrscher unterworfen sind, der sich Diktor nennt. Bei einem Treffen mit
      Diktor erklärt ihm dieser den Verlauf der menschlichen Geschichte, der zu dieser Zukunftswelt
      geführt hat. Außerirdische haben die Menschen versklavt und die Zeitmaschine entwickelt.
      Nachdem sie sich aus unbekannten Gründen zurückgezogen hatten, ließen sie die Menschen
      unmündig und ohne Willen zur Weiterentwicklung auf der Erde zurück. Es fällt Wilson nicht
      schwer, die Menschen der Zukunft mit seiner natürlichen Aggressivität zu beeinflussen.
      Der geheimnisvolle Herrscher Diktor tritt in der Folge nur wenig direkt in Erscheinung.
      Bei einem seltenen Treffen mit Wilson verspricht er, die Macht mit ihm zu
      teilen, falls er bereit ist einen Mann aus der Vergangenheit zu holen. Diktor zeigt
      Wilson wie er zu diesem Zweck eine Zeitmaschine nutzen kann. Wilson tritt schließlich durch
      das Zeittor in die Vergangenheit und erkennt sein jüngeres Selbst, das am Schreibtisch sitzt.
      Das folgende Handgemenge wird nun von dem älteren Ich beschrieben, der sein jüngeres Ich mit Gewalt
      in die Zukunft holen will, was auch gelingt. Er kehrt später nochmals zum Zeitpunkt der Konfrontation
      seiner beiden Alter Egos zurück. Nun existiert eine dritte Version des Handgemenges zwischen den Doppelgängern.
      Wieder in der Zukunft versucht Wilson den Herrscher Diktor zu überlisten. Er reist einige Jahre zurück,
      um der Herrschaft von Diktor zuvorzukommen. Die Bewohner der Zukunftswelt akzeptieren ihn und dienen ihm
      ohne großen Widerstand. Nach einigen Jahren erlaubt er auch, dass ihn die Menschen Diktor nennen.
      Auf seinen  angeblichen Konkurrenten um die Herrschaft der Zukunftswelt wartet er jahrelang vergeblich.
      Bis eines Tages ein junger Mann aus dem Zeittor herausfällt. Dem älteren Wilson wird klar, dass es nie einen
      anderen Diktor als ihn selbst gegeben hat. Die Geschichte, die er erlebt hat, wiederholt sich, nur befindet
      er sich diesmal in der Rolle des Beobachters. Alle drei Hauptpersonen, die in Wirklichkeit nur
      eine Person darstellen, sind in einer zirkulären Ereignisfolge gefangen. Die interessante
      Frage ist, ob Wilson/Diktor an irgend einer Stelle den Kreislauf hätte durchbrechen können, in dem
      er das Wissen um die Zukunft benutzt, die Handlungsfolge so abzuändern, dass die
      Ereignisse anders ablaufen müssen. In der Geschichte erkennt Diktor, dass es unklug wäre,
      sein jüngeres Ich einzuweihen. Denn mit einer Änderung der Vergangenheit würde er unter
      Umständen auch seinen so erfolgreich beschrittenen Lebensweg verhindern. Daher tut er
      alles, um den Kreislauf zu sichern.
          
  
      Moderne Science-Fiction-Autoren nutzen für das Thema der Zeitreise die ganze Bandbreite der
      extremen Objekte der Physik und der neueren  Astrophysik.  Sie verwenden  Wurmlöcher,
      Neutronensterne, Pulsare, Schwarze Löcher oder Gravitationswirbel, um die Zeitreise in
      Gang zu setzen. Die Science-Fiction-Helden studieren und erproben die wissenschaftliche
      Lehre von den Zeitreisen, die Chrononautik; sie begeben  sich mit den faszinierten Lesern
      auf chrononautische Expeditionen in bekannte und vergangene Epochen der irdischen und
      kosmischen Geschichte. Die mutigen Chrononauten reisen in Nullzeit an das Ende der Zeit,
      in die prähistorische Vergangenheit oder in Parallelwelten. In der literarischen Phantasie
      kontrollieren ungeheure Raumzeitmaschinen die kosmischen Kräfte und sorgen für die
      Passierbarkeit von Dimensionstoren und von Zeittunneln im menschlichen Maßstab.
      Unser bekanntes Universum wird literarisch durch Transdimensionen, Parallelwelten,
      Hyper- und Antiräume ergänzt. Die imaginären Zusatzhypothesen erlauben den
      Science-Fiction-Autoren, Zeitreisen über vielfältige dimensionale Portale eines
      unermesslichen Multiversums stattfinden zu lassen.
           
  
      In jedem Fall gehören die Zeitreisegeschichten zu dem Besten, was Science-Fiction heute an
      Unterhaltung, reizvollem Abenteuer, überschäumender Phantasie und verwirrender Faszination
      zu bieten hat.  Indem die Geschichten von der Zeitmaschine die Kontrollierbarkeit der Zeit
      behaupten, beruhigen sie auch tiefer liegende Ängste, die in uns entstehen, wenn wir über
      das manchmal bedrohliche und unerklärliche Mysterium der Zeit nachdenken. Vielleicht stört
      uns einfach nur die Vorstellung, dass die Vergangenheit Wirkungen auf uns ausübt, ohne
      Einwirkungen zu erleiden. Was wäre, wenn wir die Vergangenheit ungeschehen machen könnten,
      um eine neue und bessere Gegenwart und Zukunft einzuleiten?
      
  
      Alle Zeitreisegeschichten
      kreisen mehr oder weniger um das  zentrale Problem,  das mit jeder Zeitschleife verbunden ist.
      Kann man aufgrund der Kenntnis der Zukunft in der Vergangenheit etwas verändern, so dass die
      Zukunft nicht eintritt, die man beobachtet hat. Für die Autoren bieten sich unzählige
      Möglichkeiten, die Verwirrung zu steigern und logische  Kurzschlüsse zu produzieren.
      Daher können viele Zeitreisegeschichten oft mit Recht von den exakten Wissenschaftlern
      als kompletter Unsinn abgetan werden.  Es türmen sich mit den unvermeidbaren
      Zeitparadoxien logische Schwierigkeiten auf, die auch von den besten
      Science-Fiction-Autoren nicht zu meistern sind.
          
  
      Robert Silverberg schreibt in seinem Vorwort zu einer Anthologie von Zeitreisegeschichten,
      dass die einzige funktionierende Zeitmaschine, die jemals erfunden werden kann,
      die Science-Fiction-Story selbst ist. Diese Aussage beweist aber nur, dass einige
      Science-Fiction-Autoren zu wenig Phantasie besitzen. Es gibt Stimmen, die behaupten,
      dass das, was die Physiker heute an der Front ihrer Wissenschaft tatsächlich erforschen,
      dem interessierten Laien noch viel unglaublicher erscheinen muss als die erfundenen
      Geschichten der Science-Fiction-Autoren.
      
  
      Wenn es um die Entwicklung neuer Ideen und
      Theorien  zum Thema Zeit geht, haben die Physiker vielen Science-Fiction-Autoren
      schon längst den Rang abgelaufen. Bei der Erfindung von anschaulichen Hauptfiguren,
      die ihre Theorien begleiten, zeigen die Physiker durchaus literarische Qualitäten.
      Da gibt es Quarks , die Wahrheit, Farbe und Charme haben,  Quantenschaum der Henkel
      hat und  Wurmlöcher, die den Raum exotisch  durchtunneln. Der Dämon von Laplace,
      Wigners Freund und Schrödingers Katze lösen in der Regel heftige Fachdiskussionen aus.
      Dies alles sagt dem Laien nur wenig, doch für den Physiker repräsentieren diese Ausdrücke
      tiefsinnige Problemstellungen der modernen Physik. Und seit einigen Jahren reden die
      Physiker sogar von und über Zeitmaschinen.
    
  
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