Zwei amerikanische Physiker der Vanderbilt Universität in Nashville glauben, dass Experimente am Large Hadron Collider (LHC)
in Cern geeignet sind, bestimmte Partikel, sogenannte Higgs-Singlets, in die Vergangenheit oder Zukunft zu schicken. Diese
Auffassung vertreten Thomas Weiler und Chui Man Ho in einem Artikel,  der 2011 auf dem Dokumentenserver ArXiv veröffentlicht
wurde.  ArXiv ist eine Internetplattform, auf der Wissenschaftler neue Überlegungen und Ansätze mit den Fachkollegen aus aller
Welt diskutieren.
  
Einige Theoretiker sind der Ansicht, dass man mit dem LHC nicht nur die Existenz des Higgs-Teilchens beweisen kann, sondern dass
als Nebenprodukt auch ein Teilchen entsteht, das als Higgs-Singlet bezeichnet wird. Die "Zeitreisen" des Higgs-Singlet  lassen
sich nach Weiler aus Überlegungen zur M-Theorie ableiten. Die M-Theorie ist eine erweiterte Form der Stringtheorien.  Sie fordert
die Existenz von 11 Dimensionen. In der  höheren Geometrie von 11 Dimensionen bildet unser Universum eine Art Oberfläche, eine
sogenannte Hyperfläche. Physiker benutzen dafür auch den Begriff Brane, kurz für Membran.
 
  
Nach Weiler sollen Higgs-Singlets in der Lage sein, aus unserer Membran herauszuspringen, um dann nach einem kurzen Aufenthalt
in den höheren Dimensionen zurückzukehren. Die Rückkehr in unser vierdimensionales Universum kann, so die Theorie, sowohl in der
Zukunft als auch in der Vergangenheit stattfinden. Auf diese Weise können die Higgs-Singlets in der Zeit reisen. Die beiden Physiker
glauben nicht, dass eine Zeitreise mit dem LHC große Paradoxe auslösen würde. Denn  diese Form der Zeitreise ist auf das spezielle
Teilchen beschränkt und kann nicht auf größere Massen oder Körper übertragen werden. Nur Higgs-Singlets sollen die Fähigkeit haben in
der Zeit zu reisen. Anders präsentiert sich der Sachverhalt, wenn die Reisen der Higgs-Singlet-Teilchen in die höheren Dimensionen
kontrolliert werden könnten.  Dann wäre es theoretisch möglich Informationen in die Vergangenheit oder  die Zukunft  zu schicken.
Und genau das halten viele Experimentalphysiker für unmöglich. Die hauptsächlich an der Praxis und Experimenten orientierten Physiker
betrachten das mathematische Jonglieren in höheren Dimensionen in der Regel als unnötigen Ballast, der nichts mit realer Physik zu tun hat.
  
Ein Zeitreise, wenn auch nur für bestimmte Partikel erlaubt, würde die Grundfesten der Physik erschüttern. Das von allen Physikern
hoch geschätzte Kausalitätsprinzip wäre dann nicht mehr allgemeingültig. Der Physiker Weiler hat eingeräumt, dass seine Theorie eine
sehr gewagte Überlegung ist. Aber er weist auch darauf hin, dass es keinen logischen Beweis für das Kausalitätsprinzip gibt. Die
Physiker machen ja gerade Experimente, um herauszufinden, ob das, was mathematisch möglich ist, auch in der Realität zu finden ist.
Gesicherte Resultate von Experimenten und mathematische Logik sind auf jeden Fall stärker einzuschätzen als heuristischen Überlegungen
zur Gültigkeit des Kausalitätsprinzips. Wenn Experimente die Übertragung von Informationen in die Vergangenheit oder in die Zukunft
eindeutig beweisen können, dann muss man über Kausalität neu nachdenken.
 
  
Folgt man den theoretischen Überlegungen der M-Theorie, dann sind die Bausteine, die unser Universum bilden, dauerhaft in unserer
4-dimensionalen Brane gefangen. Einige Theoretiker argumentieren aber, dass die Gravitation in andere Dimensionen diffundiert.
Die Berechnungen zeigen, dass das Higgs-Singlet nur mit der Gravitation in Wechselwirkung treten kann. Daher wäre es für das
Higgs-Singlet auch möglich, unsere 4-D-Brane zu verlassen und in höhere Dimensionen zu wechseln. Eine Rückkehr könnte an jedem Punkt
unsere 3+1-Brane stattfinden, also zu allen Zeiten. Die Weilerschen Berechnungen haben gezeigt, dass Higgs-Singlets im LHC ungefähr
10 m mit Überlichtgeschwindigkeit zurücklegen können. Bei einer gezielten Suche nach dem Higgs-Singlet, müsste man Zeitsprünge in
einer Größenordnung von Picosekunden erwarten. Wenn bei der Überwachung des LHC plötzlich  und spontan Higgs-Singlets und ihre
Zerfallsprodukte auftauchen, dann könnten das Teilchen sein, die durch die Zeit gereist sind und ihre Ursache in einem
Kollisionsexperiment der Zukunft haben.
    
 
  
    Originalpublikationen:  
  
    Causality-Violating Higgs Singlets at the LHC 
Chiu Man Ho, Thomas J. Weiler  
(Submitted on 7 Mar 2011 (v1), last revised 15 Aug 2011 (this version, v2)) 
arXiv:1103.1373   
  
Time Machine at the LHC  
I.Ya. Aref’eva and I.V. Volovich 
arXiv:0710.2696v2
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