••  Chronolytisches Studio ••   Das chrononautische Wissen in unserer Zeit
 
Kapitel 6:

Reisen in die Zukunft relativistisch einfach


Als die mathematischen Gleichungen der Speziellen Relativitätstheorie im Detail ausgearbeitet wurden, erkannte man, dass sich die Zeit in zueinander bewegten Systemen unterschiedlich verhält. In der Theorie wird der merkwürdige Effekt einer sogenannten Zeitdehnung behauptet. Die Seltsamkeit des Phänomens lässt sich am besten durch ein Gedankenexperiment verdeutlichen. Ein Zwillingspaar beschließt die Folgerungen der Relativitätstheorie praktisch zu überprüfen. Während der eine Zwilling A auf der Erde zurückbleibt, reist der andere Zwilling B mit einem Raumschiff zu den Sternen. Jeder der beiden Zwillinge besitzt eine Uhr, die alle Stunde ein Signal abgibt. Wenn das Raumschiff sich mit wachsender Geschwindigkeit entfernt, wird der zurückgebliebene Zwilling A die Signale aus dem All mit größerem Abstand empfangen. Der Effekt der zeitlichen Verlangsamung der Signale wird außerdem verstärkt, wenn die Geschwindigkeit des Raumschiffs zunimmt und sich der Lichtgeschwindigkeit nähert. Mit Bezug auf das System der Erde tickt die Uhr im System des Raumschiffs langsamer. Im Raumschiff ist der Zeitablauf gedehnt. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass sich auch die biologische Uhr des Zwillings B der Zeitverlangsamung anpasst. Vom System Erde aus betrachtet, altert der Zwilling B im Raumschiff langsamer. Vom Standpunkt des Zwillings B scheint aber eine analoge Aussage über A möglich, wenn B für sein System den Ruhezustand behauptet. Mit dieser Festlegung wird das Raumschiff als Ruhesystem betrachtet wird, so dass sich die Erde relativ zum "ruhenden" Raumschiffsystem mit großer Geschwindigkeit entfernt. Vom System des Raumschiffs aus gesehen, verläuft demnach die Zeit auf der Erde langsamer. Das führt scheinbar auf ein Paradox. Jeder Zwilling behauptet für sich, dass die Zeit im jeweils anderen System langsamer verläuft. Nachdem das Raumschiff schließlich zurückgekehrt ist, können aber nicht beide Zwillinge behaupten, dass der jeweils andere Zwilling jünger geblieben ist.

Die Frage "Welcher Zwilling ist älter?" wurde in der Physikgeschichte als das Zwillingsparadoxon bekannt. Eine genaue Analyse ergab, dass sich das Paradox ohne Probleme auflösen lässt. Tatsächlich haben beide Zwillinge unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Das Raumschiff hat sich sowohl beim Start als auch in der Nähe des Umkehrpunktes der Reise beschleunigt. Es liegt keine symmetrische Situation vor. Während Geschwindigkeit ein relativer Begriff ist, ist die Beschleunigung bedingt durch Trägheitseffekte in einem gewissen Sinne absolut. Theoretisch kann man aus dieser ungleichen Situation eindeutig folgern, dass der Zwilling auf der Erde nach der Rückkehr älter ist als sein Bruder im Raumschiff. Die Zeitdehnung ist keine Illusion, sie ist real. Aus den Einsteinschen Gleichungen folgt weiter, dass die Dehnung der Zeit mit der erreichten Geschwindigkeit zunimmt. Eine Geschwindigkeit von 99% der Lichtgeschwindigkeit führt auf eine Verlangsamung der Zeit um den Faktor 7, d.h. 140 Jahre wären auf der Erde vergangen, wenn ein Reisender mit dem Raumschiff nach 20 Jahren Eigenzeit zurückkehrt.

Abb. (Lichtgeschwindigkeit und Zeitdehnung)

Die Physiker von heute haben keinen Grund an diesem vorausgesagten Resultat zu zweifeln. Der Effekt der Zeitdehnung wurde 1971 durch zwei amerikanische Physiker in einem einfachen Versuch demonstriert. Die Physiker Hafele und Keating waren davon überzeugt, dass die damals erreichte Genauigkeit bei den modernsten Uhren ausreicht, um relativistische Effekte in einem irdischen Experiment nachzuweisen. Sie bewegten sich relativ zur Erdoberfläche mit einem schnellen Flugzeug gegen die Drehung der Erde. Dabei führten sie eine extrem genaue Atomuhr mit. Eine andere Atomuhr, die vorher mit der Uhr im Flugzeug synchronisiert wurde, blieb auf der Erde zurück. Beide Uhren zeigten bei einem Vergleich am Ende der Rundreise einen nachweisbaren Gangunterschied. Im Zusammenhang mit weiteren Experimenten mit Elementarpartikeln, die in Beschleunigern auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit gebracht wurden, erwies sich die Dehnbarkeit der Zeit als ein unumstößliches Faktum. Je näher ein Materieteilchen der Lichtgeschwindigkeit kommt, desto mehr Energie ist notwendig, um es noch weiter zu beschleunigen. Die Lichtgeschwindigkeit exakt zu erreichen ist unmöglich. Die Theorie behauptet dann, dass bei Lichtgeschwindigkeit die Zeit in der Ewigkeit verschwindet und der Raum in sich zusammenfällt.

Aus dieser physikalischen Tatsache ergibt sich die phantastische Folgerung, dass die Relativität praktische Zeitreisen in beliebig weit entfernte Zeitabschnitte der Zukunft erlaubt. Die Bedingung dafür ist, dass das Zeitreiseobjekt mit seiner Geschwindigkeit nur nahe genug an die Lichtgeschwindigkeit heranreicht. Ein fast lichtschnelles Raumschiff wird in diesem Sinne zu einem Zeitschiff mit Kurs auf die Zukunft. Technische Konstrukte, die Objekte und Menschen mittels eine hohen Geschwindigkeit in eine beliebig weit entfernte Zukunft bringen können, erfüllen die Kriterien einer Zeitmaschine. Die technischen Möglichkeiten für den Bau von leistungsstarken Raumschiffen, die ihre Passagiere relativistisch in eine entfernte Zukunft bringen können, liegen schon in Reichweite. Die Raumfahrttechniker und Ingenieure besitzen ausgearbeitete Modelle von Raumschiffen mit Photonenantrieb, die hohe Geschwindigkeiten mit starken relativistischen Effekten erreichen können.

Es bleibt die Frage, welchen Sinn eine Reise in die Zukunft macht, wenn Meldungen über eine erfolgreiche Ankunft erst tausend Jahre später gemacht werden. Für die zurückgebliebenen Menschen der Gegenwart, die in diese Reise investiert haben, ist das relativistische Zeitschiff ohne Nutzen. Alle relativistischen Zeitreisen verlaufen in Form einer Einbahnstraße, nur in die Richtung Zukunft. Die Vergangenheit bleibt für Relativitätsreisende für immer unerreichbar. Ob die Menschen einer weit entfernten Zukunft Nutzen daraus ziehen können, wenn ein Raumschiff aus der entfernten Vergangenheit auftaucht, bleibt ebenfalls zweifelhaft. Möglicherweise ist ihre Technologie soweit fortgeschritten, dass sie über "Relativitätsreisen" nur lächeln können. Warum sollte die Menschheit der Zukunft nicht effektivere Methoden der Zeitreise entwickelt haben? Vielleicht verfügen die zukünftigen Zivilisationen über Tunnel in der Raumzeit oder hyperdimensionale Abkürzungen, die beliebige Reisen zu den Sternen und in der Zeit erlauben?




#